Montag, 22. November 2010

Der Kardinal und der König


Kaj Munk

Der Kardinal und der König
1929

deutsch von Paul Gerhard Schoenborn ©
2008

"Kardinalen og Kongen" handelt vom Aufstieg Armand de Richelieu (1585 – 1642), eines Bischofs aus neiderem Adel in einer unbedeutenden Diözese zum mächtigsten Mann Frankreichs, von seinem Kampf um Frankreichs Größe und von Intrigen gegen ihn, die er durchstehen musste, und schließlich von seinem Todeskampf. Seine Gestalt hatte Kaj Munk seit seiner Schulzeit fasziniert. So schuf er 1929-30 ein weitgespanntes Drama, in dem es um das Ineinander von Berufung zu einer großen Aufgabe und Verzicht auf persönliches Lebensglück, um machtpolitische Entscheidungen, politische Intrigen und Attentate, um das Ineinander von Vaterlandsliebe und katholischer Religion, um erotische Anziehung, Liebesbedürfnis und Entsagung geht. Alles das eingebettet in Szenen höfischen Lebens und Treibens in franzöischen Schlössern. Das Schauspiel bietet vielerlei scharfsichtige Beobachtungen menschlicher Stärken, Schwächen und Sehnsüchte.
Kardinal Armand de Richelieu ist für Kaj Munk die idealtypische Verkörperung eines starken Staatenlenkers an der Seite eines absolutistischen, wenngleich schwachen Königs. Richelieus Maxime formuliert der Dichter aus Vedersø im Drama – und das ist zu der Zeit auch seine eigene strukturpolitische Ansicht - "... dass es nur eine Staatsform gibt, die etwas taugt: ein allein herrschender, absoluter Regent, der die Ideen empfängt, und unter ihm ein allmächtiger Minister, der sie ausführt". Das stellt sich dann freilich in Richelieus Falls so dar: " Ja, aber ... wenn nun der Regent ... dumm ist? In einem solchen Fall ist es umgekehrt: ein allein herrschender, absoluter Minister empfängt die Ideen und der König unter ihm ist dazu da, sie umzusetzen ... " (Dialog zwischen Richelieu und der Königinwitwe im zweiten Akt – hier Seite 22.) Der Kardinal, schließlich nach vielen Auseiandersetzungen und Rückschlägen dieser allmächtige Minister, hat sein ganzes Leben einem einzigen Ziel untergeordnet: Frankreich soll zur führenden europäischen Großmacht werden. Er – und auch sein an sich schwächlicher König Ludwig XIII - sind beide von der Gewissheit erfüllt, gerade dazu von Gott berufen zu sein. Dieser Berufung opfern beide ihr persönliches Glück – der Kardinal seine Jugendliebe Marie de Rohan. Tief verletzt und enttäucht verliert sich diese in ein oberflächliches, leichtfertig-erotisches und intrigantes Leben, in einer ersten Ehe als Gräfin de Luynes, und in einer späteren als Gräfin de Chevreuse. Auf seinem Totenbett erst erkennt der Kardinal, an diesem sittlichen Verfall der Frau, die er heiß geliebt hat und deren Jugendbild er immer noch liebt, schuld zu sein - und was noch schlimmer ist: das endgültig Vergangene nicht wieder heilen zu können. Er wird dadurch an eine existentielle Grenze geführt, er wird seiner Ohnmacht ohne Wenn und Aber ansichtig. In dieser "Grenzsituation" (Karl Jaspers) kann er sich nur noch der Gnade Gottes anvetrauen und tut es auch. Zugleich aber schwört er den König und alle anderen Würdenträger Frankreichs, die an seinem Sterbebett versammelt sind, auf den aufopferungsvollen Dienst für Frankreichs Größe ein, welcher der Inhalt seines eigenen Leben war.
1930 reichte Kaj Munk dem Königlichen Theater in Kopenhagen das Manuskript eines Schauspiels über Richelieu ein. Es hatte noch keinen Titel und umfasste acht Akte. Kaj Munk verkürzte sein Stück auf Wunsch der Theaterleitung grundlegend. Dabei fiel der achte Akt fort. Es kam aber danach nicht zu einer Aufführung, weil die Theaterleitung wechselte. Auch das Dagmartheater und das Casino-Theater in Kopenhagen lehnten das Stück ab. Kaj Munk ließ daraufhin das Stück ruhen und verzichtete auch auf den Druck eines Textheftes..
Im Jahre 1939 sandte er ein Typoskript mit dem Titel "Kardinal og Kongen" dem berühmten, mit ihm befreundeten Schauspieler Poul Reumert. Das Reumertsche Exemplar befindet sich heute in der Königliche Bibliothek Kopenhagen (Sammlung Poul Reumert). Es enthält wieder acht Akte und ist wohl weitgehend identisch mit dem ursprünglichen Text. Es weist zahlreiche handschriftliche Korrekturen Kaj Munks auf und wird durch folgende Widmung des Dichters an seinen Freund eingeleitet:
Til dig, der af den anden Lampens Aand
faar rakt hans Lyst og Kamp og Graad og Spot
og deraf bygger med din Mesterhaand
den lange Nat igennem Gryets Slot.
Man kann diese Widmung ungefähr so verdeutschen:
Dir, der du von einem anderen begeisterten Genie
auch dessen Lust und Kampf, die Tränen und den Spott bekamst,
womit du dann mit meisterlicher Hand
die lange Nacht im Schloß des Morgengrauens schufst.
April 1930 Kaj Munk
"Kardinalen og Kongen" wurde nie vollständig aufgeführt. Unter der Überschrift "Der brænder en Ild." – Es brennt ein Freuer." führte im Jahre 1942 das Tournee-Theater von Gerda Christophersen den ersten Akt auf. Gleich nach Kriegsende ließ Poul Reumert in szenischen Lesungen Teile des Drama auf Bühnen in Dänemark und Norwegen lebendig werden. Der Text des Dramas wurde erstmalig 1948 in der Kaj Munk Mindeudgave – Band: "Kærlighed og andre Skuespil", Seite 291 – 383, vollständig veröffentlicht. Er folgt, wie es im Vorspann auf Seite 292 heisst, im Großen und Ganzen dem Typoskript aus der Sammlung Poul Reumert.
Meiner Übersetzung liegt der Text der Mindeudgave, Band "Kærlighed og andre Skuespil", Seite 291 – 383, zugrunde. Søren Daugbjgerg, Maribo und Arene Munk, Vedersø, danke ich herzlich für die hilfreiche, kritische Durchsicht meiner Übersetzung. PGSch – August 2008

Personen
Armand de Richelieu
Marcel, ein Diener
Eine alte Hugenottin
Alphonse, ein Karthäusermönch
Pater Josef
Abt
General Birabeau
Marie de Rohan, die spätere Gräfin de Luynes, und noch später Gräfin de Chevreuse
König Ludwig XIII
Die Königin, Anna von Österreich
Albert Luynes
Baron de Vitry
Hofdamen
Herren bei Hofe
Maria de' Medici, Mutter des Königs, Witwe König Heinrichs III
Marschall d'Ancre
Minister Mangot
Barbin
Herzog von Montmorency
Jeanne, Herzogin von Montmorency
Gaston d'Orleans, „Monsieur", der Bruder des Königs
Erzbischof von Tour
Bankier Poulard
General Birabeau
Großsiegelbewahrer Chateauneuf
Gräfin d'Alemcourt
Graf d'Alemcourt
Pierre, Diener im Schloss d'Alemcourt
Annette, Dienerin im Schloss d'Alemcourt
Der junge Herzog von Montmorency
Der Narr Marbout
Mademoiselle de Hautefort
Mazarin
Marquis, Graf, Exzellenz - Herren am Hof
Nuntius
Ein Gesandter des Kaisers
Der Satan
I
Im heruntergekommenen Bischofssitz von Luçon geht der junge Bischof Richelieu auf und nieder. Auf dem Tisch stapeln sich einige Bücher, darüber flackern ein paar Kerzen. Über den Papieren auf einem anderen Tisch qualmt eine Öllampe. Schnee peitscht gegen die Fensterscheiben. Richelieu bleibt vor einer mächtigen Landkarte stehen, verfolgt mit den Fingern Grenzen und Flüsse, kritzelt Zahlen und Stichworte nieder, liest dieses und jenes, bleibt schließlich vor einem alten Sessel mit hoher Rückenlehne stehen. Er verjagt eine Ratte und nähert sich dem Sessel mit ehrerbietigen, vollendetem Anstand.
Richelieu Hohe Königin, Ihre Wünsche werden ausgeführt, noch bevor die
Sonne untergeht. (Er deutet einen Handkuss an, während er sich so verhält, als würde er vom Sessel her angeredet.) Gnädige Frau? Meine ehrliche Meinung über den Marschall? Nun, was ist er anderes als der großartige Beweis für den treffsicheren Instinkt Ihrer Majestät, Fähigkeiten dort zu finden, wo sie sonst keiner vermuten würde. ... Wer? Ich? Ich sein Nachfolger? Königin Marie von Medici, bis zum letzten Atemzug bin ich der Ihre. ...
Marcel! (Der Diener tritt ein.) Kannst Du die Löcher im Kamin nicht zustopfen? Hier kann man vor Rauch ja kaum noch atmen.
Marcel Wenn ich die Löcher zustopfe, kann selbst der Teufel das Feuer nicht
mehr zum Brennen kriegen. Herr Armand sollte jetzt lieber schlafen gehen.
Richelieu Schlafen?
Marcel Ihr Vater litt auch nachts so verteufelt an Kopfschmerzen, besonders
wenn er mit König Heinrich auf Tour war. Aber wissen Sie, was der alte Chef stets dagegen tat, wenn ...
Richelieu Marcel, hör auf, bitte!
Marcel Es hilft nichts, ob wir Bischof oder was zum Teufel auch sein mögen:
Weiber sind nun einmal für uns Männer geschaffen. Glauben Sie, Erzbischöfe oder Kardinäle, hä ... Gott weiß, selbst der Heilige Vater! Man sagt ja, er wird von den Kardinälen gezeugt.
Richelieu Was für ein Hund winselt draußen so?
Marcel Keiner … Ach ja, das ist die Mutter von dem, der heute Abend das
Halsband kriegen soll. Sie wollte absolut zu ihnen hinein. Aber ich habe ihr gesagt: Nur über meine Leiche!
Richelieu Lass sie 'reinkommen.
Marcel Hier herein? Ein dreckiges, verlaustes Weibsstück? Nein, bei meiner
Seligkeit.
Richelieu Was glaubst Du denn, was Jesus tun würde, wenn er hier stünde und
eine verzweifelte, alte Frau säße draußen im Schnee? ... Ihr da draußen: lasst
die Frau hereinkommen.
Marcel Was Jesus tun würde, weiß ich nicht. Er war Gottes Sohn und konnte sich
allerlei Freiheiten erlauben. Aber ich weiß, was man seiner Stellung schuldig ist, wenn man Bischof geworden ist ... Die Sache nur, Sie sind es zu jung geworden.
Richelieu Schick sofort jemanden zum Abt. (Als er aufsieht, steht die Frau vor ihm.)
Weswegen bist Du hergekommen? Das Gesetz befiehlt: Wer stiehlt, wird aufgehängt. Das Gesetz ist heilig. Was willst du also von mir? Dass ich, der Bischof, das Gesetz entweihen soll, so wie dein Sohn es entweiht hat?
Die Frau Barmherzigkeit! Um Christi willen!
Richelieu Aha, nicht um der Heiligen Jungfrau willen. Eine Ketzerin also bist du.
Die Frau Gestrenger Herr ...
Richelieu Bist du nicht eine Hugenottin?
Die Frau Ja, das bin ich.
Richelieu Sag mir: Würdest Du wieder eine richtige Christin werden, wenn ich
dir das Leben deines Sohnes versprechen würde?
Die Frau (beugt das Haupt bis tief zum Boden) Herr Jesus, hilf mir das Richtige zu
antworten.
Richelieu Mütterchen, hier hast Du zwanzig Taler. Die Mutter Gottes möge sich
Deiner erbarmen.
Die Frau Gestrenger gnädiger Herr, er ist doch mein einziger.
Richelieu Warum lügst du mich an?
Die Frau Es ist wahr, ich habe niemand anders als ihn.
Richelieu So. Dann muss er sterben. Wenn er allein da ist, um sich selbst und
auch Dich zu versorgen, dann hindern wir ihn nur daran, dass er wieder stiehlt. Ja, dann muss er sterben.
Die Frau Ich habe doch noch einen anderen Sohn.
Richelieu Sag jetzt die Wahrheit: Wie viele hast Du wirklich?
Die Frau Acht. Aber diesen hier sehe ich zu Recht so an, als wäre er mein
einzigster. Ach, wir waren einmal reich, Herr Bischof. Aber was ist das für ein Land, in dem wir heute leben müssen. Der Gutsbesitzer nahm uns die Kühe weg und schlug meinen Mann, als der ihm mit dem König drohte. „Womit kommt mir dieser Kindskopf an? Hier bin ich König." Dann kam da ein Trupp Katholiken, wie man sie nannte, durch unsere Gemeinde, die verwüsteten das Korn bis auf die Wurzeln. Und nun neulich war da ein Schwarm, ja, es waren Hugenotten, und wir dachten ja, das wären welche von unserer Seite, die brannten unsern Hof nieder. Gnädiger Herr, Sie glauben mir nicht.
Richelieu Leider Gottes, ich glaube Dir jetzt.
Die Frau Ach, ich weiß das nicht. Ihr reichen Herren, Ihr lebt in Saus und Braus
und könnt Euch selbst zu Eurem Recht verhelfen. Das können wir, die wir am Verhungern sind, auch, aber dafür werden wir dann gehängt. Es ist nicht mehr so wie in der Zeit des guten Königs Heinrich. Ich habe ihn einmal gesehen. Er warf mir einen Handkuss zu, als ... Er hat doch nur etwas genommen, weil wir alle Hunger und Not litten, und im Kloster war genug. Mein armer Junge hat .... (Schreit laut auf und flieht hinaus.)
Alphonse (Fürchterlich herausgeputzt - steht hinter Richelieu.) Schau her, ich bin der
Satan.
Richelieu Nein, das bist du nicht, Alphonse. Du bist mein Bruder und ein ganz
gewöhnlicher Karthäusermönch.
Alphonse Ich habe hier ein Blatt Papier, sieh's an, sieh's an, sieh'an. „Ich,
Armand de Plessis de Richelieu, trete dem Fürst dieser Welt meine unsterbliche Seele ab dafür, dass er mir einen Platz unter den Bösen und Mächtigen der Erde verschafft." Unterschreibst Du das, Bischof von Luçon?
Richelieu Bald geht der Mond auf, kleiner Alphonse. ... Pater Josef! Sind Sie
wieder heimgekommen? Willkommen, willkommen, Lieber! Aber Ihr Bart? Wo sind Sie den losgeworden?
Pater Josef Der Bart ist in Paris geblieben.
Alphonse Schau her, Pater, ich bin der Teufel.
Richelieu Nimm Deinen Krimskrams mit 'raus und begib Dich zur Ruhe.
(Alphonse ab) Marcel, Wein, einen besseren als den besten, den wir im Haus haben! Hatten Sie eine gute Reise, Pater Josef?
Pater Josef Doch, die Reise war ganz gut, ja. Was haben Sie denn hier für einen
Rauch!
Richelieu Willkommen beim Bischof, der Rauch bei seinem Kaminfeuer und
Qualm bei seinem Lampenlicht hat. Wie war es denn so, dort ... in der Stadt aller Sehnsüchte?
Pater Josef Also: Es gab keinen Teufel aus dem Schlund der Hölle, den ich nicht
geschminkt und herausgeputzt auf den Straßen scharwenzeln und sich in den Sälen herumtreiben sah. Ich könnte Geschichten erzählen, wie ...
Richelieu Sollen wir nicht die Masken voreinander ablegen? Es ging also nicht.
Sie haben nicht sprechen können mit ...
Pater Josef Wo haben Sie die Geige? Ich kann mit Ihnen nicht darüber sprechen,
wenn Sie nicht ruhig sind. Hier haben Sie eine der letzten Melodien aus den Weinstuben. (Er spielt.) Durch und durch geil im Ton, nicht wahr? Die Heilige Jungfrau vergebe meinen Ohren, die einen solchen Ton nicht wieder 'rauslassen, wenn er erst einmal in sie hineingeschlüpft ist. ... Hören Sie also dann von Notre Dame .... Gott vergebe meinen Augen, dass sie aus Eis gemacht sind, sie ertragen es nicht, in das Himmelslicht zu sehen ohne zu schmelzen.
Richelieu Ja, sie werden es gewahr ... sie werden es gewahr ... Wenn man so ein
Geisteswerk geschaffen hat, möchte man dann wohl ein anderes aufgeben?
Pater Josef Paris war so voller Italiener, wie eine polnische Gräfin voller Läuse.
Ich glaubte am Ende, ich hätte mich verlaufen und wäre in Rom gelandet. ... Nun, ich trabte rund zu Erzbischöfen und Adligen, damit sie mir zu einer Audienz verhülfen. Aber alle hatten vor der Königinwitwe soviel Schiss wie Hühner vor dem Hauklotz.
Richelieu Und so gaben Sie auf?
Pater Josef Hören Sie, mein Guter. Wissen Sie nicht, das einzige, dass man mich
in diesem Leben aufzugeben zwingen wird, ist mein Geist. Eines Tages, als sie ein Haus in der Rue des Boulangers besuchte, bestach ich ein paar Diener, damit sie Feuer im Treppenhaus legten, und dann rettete ich sie durch die Flammen hindurch. Das Leben einer Königin ist wohl einen Mönchsbart wert. Und nun sind wir zwei gute Freunde, Marie und ich.
Richelieu Braver, tapferer, bewunderungswürdiger Mann ... und dann, und dann?
Pater Josef Am nächsten Tag, bei einer stundenlangen Audienz, versprach sie
mir dieses und bot mir jenes an. Als ich Sie in Verbindung mit einer Stellung am Hof erwähnte, antwortete sie: „Sprich dem jungen Bischof mein Lob aus. Wie hat seine Tüchtigkeit ihn doch dazu geeignet erwiesen, ein Bistum inne zu haben und es zu leiten."
Richelieu Hm. Und der Marschall?
Pater Josef Am gleichen Tag wurde ich mit ungefähr zwanzig Persönlichkeiten
jeglichen Kalibers zu dem Italiener eingelassen. Hinter denen stand ich und sah auf ihre Ärsche, während sie sich einzeln vor ihm nieder bückten: „Es ist mir eine große Freude und Ehre, Ihre Exzellenz begrüßen zu dürfen." Und der Arsch, auf den ich sah, dachte dabei: „Ich möchte dem Kerl gern auch einen Gruß senden." Der saß auf eine Art Thron, unter sich ein Tigerfell, und Löwen aus Stein an beiden Seiten. Sein Angesicht glich einem fleckigen alten Tuch, seine Augen waren klein und stechend und liefen immerfort herum, seine verwelkten Hände presste er gegen seinen Bauch – später ging mir auf, dass er wahrscheinlich einen Bruch hatte. Und da merkte ich mit einem Mal, dass ich selbst vor ihm stand: „Es ist mir eine große Freude und Ehre .... " während es, wie ich merkte, hinten kribbelte. Puh, ich beeilte mich, schnell hinunter zum Fluss und wieder heraus, obwohl Eisklumpen darin trieben. Und ich bin noch immer nicht sauber.
Richelieu Was sagte er über mich?
Pater Josef Er hörte gar nicht zu. Den Brief, den ich ihm reichte, nahm er
auch nicht entgegen. Ich verbeugte mich schon, um zu gehen. Da krächzte
er plötzlich laut, so dass ich erschauerte: „Wer hat Ihm den Bart abgebrannt?" Ich griff an das noch lebende Büschel: „Rot, Exzellenz, Selbstentzündung!" Da lachte er, als ob ich etwas Unanständiges gesagt hätte, stemmte die Fäuste gegen seinen Schmerbauch und fragte ganz höflich: „Wer war es noch einmal, von dem Sie Grüße überbrachten?" „Richelieu, der Bischof von Luçon" „Wer? Kenn' ich nicht." Ich reichte ihm den Brief. „Ach, Richileuve! Der also! Eine Stellung bei Hofe ... hahaha, ja die kann er kriegen. Wenn ich hier einmal nicht mehr genug Meuchelmörder haben werde, die mich umbringen wollen, dann kann man ihm eine Einladung schicken."
Richelieu Und das ist alles?
Pater Josef Ich habe viele Grüße für Sie vom Erzbischof von ...
Richelieu Das ist alles?
Pater Josef Wir müssen warten, Richelieu.
Richelieu Warten! Als ob ich nicht genug gewartet hätte. Fünf Jahrhunderte in
diesem Winkel gewartet ... eingeklemmt wie ein Falke in einer Iltisfalle ... während aufdringliche Windbeutel, deren einziges Talent darin besteht, dass sie Speichel lecken können, Stellungen erlangen, wo sie Fähigkeiten entfalten müssen, die sie nicht besitzen, die ich aber habe.
Marcel (herein) Der Abt ist gekommen.
Richelieu Welcher Abt? Ach, der (Der Abt tritt ein.) Herr Abt, ich habe nun in der
Angelegenheit das Urteil gefällt. Er soll heute Abend gehenkt werden. Sind Sie zufrieden?
Abt Zufrieden ja. Mehr aber auch nicht.
Richelieu Was meinen Sie damit?
Abt Wenn man verstaubte Wandteppiche lüften will, dann klopft man sie
gewöhnlich vorher aus.
Richelieu Sie haben Recht. Zehn Peitschenhiebe für den Dieb. ... Nun zufrieden?
Abt Vollkommen. Erlauben Sie mir, Herr Bischof, die Gelegenheit zu benützen,
meine Bewunderung für Ihre so umsichtige Verwaltung unseres Bistums auszusprechen?
Richelieu Danke, vielen Dank. Sagen Sie mir, Herr Abt, wie viele Kapaunen
waren da außer den zweien, die er stahl?
Abt Das weiß ich wirklich nicht.
Richelieu Nein?
Pater Josef Meine Studien im Lesesaal hindern mich an Studien in der
Speisekammer.
Richelieu Lobenswert. Leider gehöre ich zu den Zeitgenossen, die beides
tun. Es waren zehn Kapaunen da. Zehn weniger zwei ergibt acht. Diese acht, wo sind die jetzt?
Abt Wahrscheinlich gen Himmel geflogen.
Richelieu Vielleicht. Wahrscheinlich kommen sie dort aber nicht an. Denn sie
sind in Ihrem Magen. ... Ich habe für das Kloster ein ausdrückliches Verbot von üppiger Lebensweise in jeglicher Form erteilt.
Abt Das habe ich nicht gelesen. Und im Übrigen gehören nach meinem
Verständnis Kapaunen nicht zu üppiger Lebensweise.
Richelieu Aber nach meinem. Und das gilt. Meine Anordnung mag ja vielleicht
bei Ihnen irgendwo gelandet sein, weil Ihre eifrigen Studien Sie daran gehindert haben, sie wahrzunehmen. Ich möchte Ihnen nahe legen, diese solange ruhen zu lassen, bis Sie meine Anordnung gefunden und im Lesesaal angebracht haben, wo Sie dann auch die Möglichkeit haben, ihre Bekanntschaft zu machen. ... Herr Abt.
Abt Ja ... Früher machten wir ja hier in Luçon einen Unterschied zwischen einem
Küchenschreiber und einem Bischof.
Richelieu Und Sie persönlich werden in naher Zukunft den Unterscheid noch
genauer kennen lernen. (Schnalzt leicht mit dem Mund.. Der Abt hinaus.) Ein nobler Mann. Bei ihm sind Mund und Hintern eins.
Marcel (herein) Sollen wir den armen Schlucker nicht endlich hängen, Herr
Armand. Er verlangt verteufelt danach.
Richelieu Dann tu es. ... Aber er ist doch auch ein Mensch. Warte noch damit.
Geh!
Marcel Ihr Vater machte nicht so viel Federlesens.
Pater Josef Lieber Richelieu, Sie können mir glauben: Warten ist der Weg zu
allem. Dem, der ...
Richelieu Predigen Sie das doch denen, die genug Zeit im Leib haben und
unterwürfig genug sind, darauf zu hören. Die schwerblütigen und muskelbepackten, dicken Kinder, die können warten, aber ich ... Sehen Sie denn nicht, dass ich, den sie Bischof Eiszapfen nennen, hier herumrenne und vergehe! (Schüttet seinen Wein auf den Boden.) Weg mit dieser Versuchung!
Pater Josef Ich habe dort auch mit dem Erzbischof von Tours gesprochen. Er
hatte Ihre „Regel für Christen" gelesen und ist Ihnen sehr gewogen. Richelieu, verzeihen Sie, aber ich sage es Ihnen nun auch, Sie sind nichts in Paris, aber Sie haben schon einen Namen in Rom.
Alphonse (herein, fantastisch ausstaffiert) Ich bin Gottvater, schaut, ich bin
Gottvater.
Richelieu Nein, Alphonse, das bist Du nicht. Das ist eine zu gewaltsame
Beförderung gegenüber vorher.
Alphonse Aber Du bist der Teufel, denn Weltbrände flammen in Dir. So höre
denn die Strafe, womit ich Dich bestrafe: Du sollst Deinen Willen bekommen. Herrscher über das Reich sollst Du werden. Macht und Huldigung und Prachtsoll sollen Dich umgeben, Nachruhm sollst du haben noch in tausend Jahren. Aber der Brand Deines Blutes soll in Geschwüren ausschlagen, einsam sollst Du sitzen unter dem Volk, die Luft um Dich herum soll Schweigen und Hass sein.
Richelieu Hier ist Wein, Alphonse.
Pater Josef Höre auf ihn.
Alphonse Denn weil Du die Kirche verrätst, der zu dienen ich Dir befahl, und
nach Schatten und Nichtigem greifst ...
Pater Josef Richelieu, Gott spricht durch des Narren Mund.
Richelieu Ja, und was sagt er mir durch des Narren Mund? Narreteien natürlich.
Denn durch meine eigenen Gedanken, die gesund und klar sind, spricht er gesunde und klare Worte: Setze Deinen Willen auf den Glauben an Deine Berufung, trotz alledem, und siege.
Alphonse Ich bin der Allweise und Allmächtige ... Armand, ist das Wein? Darf
ich davon trinken? Ah, darf ich?
Richelieu Schau den Mond an. Alphonse, er ist dort drüben.
Alphonse Verzeihung … dieser närrische Aufzug … habe ich jetzt wieder? ...
Pater Josef, Sie hier? ... Ach, Sie müssen verzeihen.
Pater Josef Bruder Alphonse, über Gottes Prüfungen braucht man sich nie zu
schämen.
Alphonse Willkommen daheim. So frisch nach der Reise. Wie froh bin ich, dass
sich Sie wieder sehen darf. Gute Nachtr. Armand hat noch Hunderterlei mit Ihnen zu diskutieren. Gute Nacht, Bruder. Du bist so gut zu mir.
Richelieu Alles, was ich von Freundschaft weiß, weiß ich durch Euch zwei hier.
(Alphonse hinaus) Danke, dass Sie auf dieser Reise für mich gekämpft haben,
Josef. Mein Haupt ... ach! Gute Nacht. (Pater Josef hinaus) Hoffnungslos alles! ... Aber ich will, will, will. (In Richtung des Sessels) Euer Gnaden werden sehen. Führt den Marschall herein. ... Alles Narrenstreiche. Hoffnungslos alles. Selbst dorthin reisen. Aber was erreicht man schon in Paris ohne Geld?
Pater Josef (wieder herein) So kann ich nicht von Ihnen gehen. Wenn Sie einst ...
Richelieu Wenn ... ha, wenn! Selbst Sie haben nun den Glauben an mich
verloren. Ja ... es steht schlecht.
Pater Josef Wenn es Gottes Plan ist, dass Sie der überragende Minister
Frankreichs für Jahrhunderte werden sollen ... Das weiß ich gewiss: Nichts und niemand schlägt SEINEN Plan in Stücke. Folgen Sie mir bitte ... ja, stützen Sie sich ruhig auf mich. Sehen Sie ihn an, unseren Meister und unseren Bruder, unseren Gott von unserem vergänglichen Fleische. Nun ist der Premierminister, sitzend zur Rechten des Königs über alle Könige. Aber es galt auch für ihn: warten und nochmals warten ... warten im "Trotz alledem" des Glaubens.
Eine Stimme außen, von unten Zum Teufel, öffnet das Tor für den Mann
der Königin.
Richelieu (sieht zum Fenster hinaus) Gestalten ... zu Pferd ... im Schneegestöber.
Marcel Es sind nur zwei. Wir können mit ihnen fertig werden.
Richelieu Lasst sie 'rein. (Marcel hinaus) Männer der Königin?
Pater Josef Was bedeutet das? Gutes oder Böses? ... Sie reiten durch das Tor, als
ob es ein ganzes Heer wäre.
Richelieu Hilf mir, diese Papiere aus dem Weg zu schaffen. Hier hinein. Ja,
Ratten sind gut für vieles. Und dann ...
Ein gepanzerter, schneebedeckter Mann mit seinem Pagen kommt herein.
Der Fremde Herr Bischof Richelieu, ich bitte Sie sehr um Verzeihung. Ich sah
Licht und dachte, es sei ein Gasthaus.
Richelieu Der Bischofssitz von Luçon weiß es sehr zu schätzen, dass ein Mann
der Königin mit ihm als Gasthaus vorlieb nehmen will, Herr ... Herr?
Der Fremde Ich bin unterwegs mit einem geheimen Auftrag Ihrer Gnaden. Sie
Gestatten daher, dass ich Ihnen meinen Namen vorenthalte?
Pater Josef Aber das ist ja General Birabeau.
General Birabeau Sie kennen mich?
Richelieu Mein Freund, Pater Josef, war gerade in Paris.
Pater Josef Und komischer Weise sah ich Sie gerade an dem Tag, als Ihre
Majestät Sie beförderte.
General Birabeau So? Ja, sehr merkwürdig, ja.
Richelieu Ist noch Wein da, Marcel? Gut. Und Licht, mehr Kerzen!
Marcel Wir durften doch vor dem Veronikatag keine Kerzen kaufen nach den
Richtlinien, die Sie selbst erlassen haben.
Richelieu Du wirst jetzt aber kindisch, Marcel.
General Birabeau Ich bitte Sie. Der Schnee hat meine Augen heute so
gepeinigt, dass sie kaum mehr Licht vertragen. Und dann rutschte der lahme Klepper mittags auch noch aus.
Pater Josef Haben Sie sich dabei verletzt?
General Birabeau Ein kleiner Scherz in der Hüfte, ein kleines
Sommerspäßchen. Ja, wir hätten heute eigentlich bis Pont de Luc reiten müssen, aber ... dieses skandinavische Wetter ... Au ... Wenn es Ihr Ernst ist, Herr Richelieu, dass wir keine Wirtsmadam mehr zu stören brauchen, wäre es dann ein unverzeihlicher Bauernlümmelrülpser, wenn ich meinem Mund erlaube, um mein Bett zu bitten?
Richelieu Marcel, kümmere Dich um alles. Seien Sie mir willkommen, Herr
General. Ein geruhsame Nacht unter meinem Dach. So, Sie wollten nach Pont du Luc?
General Birabeau Da komme ich nun erst morgen hin. Da, Junge, probier von
meinem Wein.
Page Danke.
Richelieu Wie steht's bei Hofe? Was denkt man über den Marschall?
General Birabeau Über ihn spricht man nur gut. Er ist ja auch eine bedeutende
Persönlichkeit.
Richelieu Und wie steht es sonst in Paris?
General Birabeau Wohl ungefähr so, ungefähr so, kurz gesagt, wie Ihr gerade
heimgekommene Freund Ihnen berichtet hat.
Richelieu Ach ja, ich ermüde Sie nur. Erlauben Sie, dass ich selbst Sie zu Ihren
Zimmern geleite. (Die Drei gehen hinaus.)
Pater Josef (Hat sich niedergesetzt und schreibt für sich, während er dabei murmelt,
einige Worte auf.) Kein Bart ... grimmige Augebbrauen ... ... ... Kommandostimme ... hinkt nach einem Sturz oder Kampf ... will nicht erkannt werden ... Pont de Luc ... Fragezeichen.
Richelieu (herein) Na, Alter.
Pater Josef Ja Alter. Wissen Sie, wie die Pariser den Marschall nennen?
Richelieu Na?
Pater Josef Maria von Medicis Denkfehler!
Richelieu Nicht übel!
Pater Josef Aber hier haben Sie vor sich einen ganz gewöhnlichen Dummkopf.
Ich würde mir gerne meinen ganzen Lebertran dafür abzapfen lassen, wenn ich eben nicht herausgeplatzt wäre mit: "Sie sind General Soundso und so weiter."
Richelieu Was haben Sie da notiert? Ah, ausgezeichnet. Sie haben schnell
meine Gewohnheiten erkannt. „Sturz oder Kampf?" Nein, Sturz ist wahrscheinlicher, es war Erde und Straßendreck auf seinem Mantel. Und der Page an seiner Seite?
Pater Josef Dem habe ich keine Aufmerksamkeit geschenkt. War an ihm etwas
Bemerkenswertes?
Richelieu Ja, natürlich. Zuerst einmal, dass er eine Frau war.
Pater Josef Dann bin ich nicht einmal ein dummer Ochse, sondern ein
armseliger blinder Höhlensalamander.
Richelieu Blutjung … blond … zartgliedrig … große Augen … Ausdruck:
zugleich ängstlich und neugierig ... Hände deuten auf Adel. ... Lasst uns nun sehen, lasst uns sehen. ... Sie ist auf ihr erstes Abenteuer aus. Soll von ihm geleitet werden ... ... Nach einem Plan der Königin? Warum sollte die Königin es denn nötig haben, so geheimnisvoll zu Werke zu gehen? Weswegen wurde er bange, als er hörte, dass Sie gerade aus Paris heimgekommen sind?
Pater Josef Hah, ha, da ist vielleicht etwas dran. Italiens Himmel wechselt rasch
zwischen Schauern und Sonne.
Richelieu Aber was ist mit ihr los? Soll sie in ein Kloster gebracht werden? Oder
außer Landes? Heimlich? Zu ihm? Oder zu einem anderen? Josef, ich habe Hunderte von Büchern über die Liebe durchstudiert, aber verstehe mich noch immer zu wenig darauf. Sag mir, ist sie noch Jungfrau oder nicht?
Pater Josef Ich dachte ja, sie wäre ein Mannsbild. Das erleichtert die Sache auch
nicht.
Richelieu Hätte ich doch nur darauf geachtet, welche Blicke sie gewechselt
haben. Aber einmal sah sie auf seinen Stiernacken mit einem Zug von Ekel. Würde sie das tun, wenn er ihr egal wäre? Nein, höre doch mal zu: Die Königinwitwe wollte ihren Liebling mit der einen oder anderen verheiraten. Er aber hat sich in diese hier verliebt und entführt sie, um mit ihr in Pont de Luc getraut zu werden. Gott aber schickt ein Schneegestöber dazwischen, damit sie sich zu mir verirren, ehe es zu spät ist. Hoho, ab und zu hat man doch Nutzen von der Mathematik, die man auf Herrn Pluvinels Hoher Schule gelernt hat.
Pater Josef Da glaube ich aber eher ...
Der Page (herein) Der General, mein Herr, der General ist wegen seiner Wunde
ohnmächtig geworden.
Richelieu Sie verstehen sich doch auf Erste Hilfe, Pater Josef. Marcel,
Verbandszeug hinauf zu unserem Gast. (Marcel und der Pater hinaus) Page,
bleiben Sie einen Augenblick hier. Bitte, mein Fräulein, nehmen Sie Platz.
Der Page Ach!
Richelieu Halt, bleiben Sie hier, ich bitte Sie. So so, mein kleines verschrecktes
Rehlein, ich bin kein Jäger, seinen Sie nicht bange, so so, wie heißen Sie denn?
Der Page Ich bitte Sie , nein, lassen Sie mich gehen.
Richelieu Waren Sie bei Hofe?
Der Page Ja.
Richelieu Lange? Ein Jahr?
Der Page Ich kam im Herbst dorthin?
Richelieu Hier habe ich eine Liste der neuen Hofdamen. Hier sind die Reichsten.
Da die Schönsten. Also hier irgendwo müssen Sie stehen. Jeanne de la ... Elisabeth de … Marie de …, ha, dann sind Sie Marie de Rohan.
Das Fräulein (senkt das Haupt)
Richelieu Und dann sind Sie und der General …. Und weshalb durften Sie das
nicht?
Das Fräulein Weil Ihre Majestät … Nein, nein, ich will nichts sagen.
Richelieu Fräulein de Rohan, ich könnte Sie Ihr Leben lang in Verruf bringen,
wenn ich das wollte. Ich könnte Sie beide hier auf dem Gebiet der Kirche gefangen nehmen und morgen früh nach Paris bringen lassen. Dort hätten Sie nur die Wahl zwischen Kloster oder Schaffot. Wollen Sie jetzt mein Freund oder mein Feind sein? Ich gebe Ihnen die Erlaubnis zu wählen. Aber Sie müssen jetzt sofort wählen. ... Fräulein Marie, Sie wollen doch mein Freund sein. Sie wollen mir doch Erlaubnis geben, Ihnen aus dem allen herauszuhelfen, worüber Sie nun unglücklich sind, wo man Sie hinein gelockt hat. Sie wollen mir doch erlauben, Sie wieder nachhause zu bringen.
Das Fräulein Ja, wollen Sie das, Herr Bischof, wollen Sie das wirklich?
Richelieu Sagen Sie mir doch ganz leise ... ich bin ja doch Bischof und
Beichtvater ... wie ist es denn zu dem allen gekommen?
Das Fräulein Es war Luynes, der ... er verliebte sich etwas in mich.
Richelieu Luynes? Der Spielkamerad des Königs?
Das Fräulein Ja, und der König, der sonst immer ... er wurde ganz wild und
haute auf den Tisch und verlangte mich wie ein Stück Spielzeug für seinen Freund. Und da sagte die Königin ... aber ich, ach nein, pfui, Luynes!
Richelieu Und deswegen ...
Das Fräulein ... reiste ich zu Weihnachten zu meiner Familie nach Viergy, und
da ...
Richelieu ... Und da?
Das Fräulein Da kam gestern Nacht Herr Birabeau und ... entführte mich
richtig aufregend mit Strickleiter und allem. Denn er kennt den Priester in Pont de Luc. Aber das Wetter ...
Richelieu Wo haben Sie dann die Nacht verbracht?
Das Fräulein Die Nacht? Nun, ja, aber ... es wurde ja schon Morgen, als er kam.
Richelieu Nein.
Das Fräulein Ja, habe ich denn etwas Falsches gesagt?
Richelieu Wo?
Das Fräulein Ich weiß es nicht mehr recht ... wir ritten ja wie wild. Es war ein
altes Wirtshaus in einer kleinen Stadt.
Richelieu Nein.
Das Fräulein Ja, so ein altes Wirtshaus. Aber es war offensichtlich von den
Leuten verlassen.
Richelieu Also eine Scheune.
Das Fräulein (Sieht auf, versucht zu lächeln, lacht auf und beginnt zu weinen.)
Richelieu Kleine Marie de Rohan, davon weiß ich überhaupt nichts. Die
Verwundung des Generals lasse ich pflegen, und Ihnen gebe ich morgen früh sicheres Geleit zurück nach Viergy.
Das Fräulein Wo soll ich aber jetzt die Nacht verbringen?
Richelieu Hier in der Stadt bei einer anständigen Frau, die ich kenne.
Das Fräulein Und was wird aus Birabeau? Sie werden ihn doch nicht nach Paris
zurück schicken?
Richelieu Sie glauben wohl, die Königinwitwe hätte das gerne?
Das Fräulein Sie erlauben ihm doch nach Spanien zu reiten? Nicht wahr?
Richelieu Morgen früh sehen wir zwei uns wieder und können darüber reden.
Und ich freue mich, Sie dann in Ihren Frauenkleidern zu sehen.
Das Fräulein Ich glaube nur, dass ich kaum was Besseres anzuziehen habe als
dieses hier. Ach, Danke, Herr Bischof, Sie sind so voller liebenswürdiger und freundlicher Fürsorge für mich.
Richelieu So so!
Das Fräulein Und Sie haben noch nicht einmal um einen ganz kleinen Kuss als
Zeichen des Dankes gebeten.
Richelieu Ich bin Bischof. Das wissen Sie doch.
Das Fräulein Sie sollen ihn trotzdem bekommen. Danke, Herr Richelieu. Nein,
Ihre beiden Hände. Danke. ... Und Sie werden den armen Birabeau nicht nach Paris schicken? Ja? Denn dann kriegen Sie noch einen. Nein nein, nicht bevor Sie es mir versprochen haben ... versprechen Sie es mir?
Richelieu Meine Pflicht gegenüber der Königin ...
Das Fräulein Dafür noch einen? Und Sie machen mich glücklich.
Richelieu Ich ... ich ver ... verspreche es Ihnen
Pater Josef (herein) Ja also ... na ... ja ... der General hat hohes Fieber und fragt
unablässig nach seinem Pagen.
Richelieu Sein Page ist hier und möchte gerne von Ihnen zum Haus von Frau
de Lancille geleitet werden. Auf Wiedersehen morgen früh. Hier haben Sie meinen Rosenkranz, Fräulein. Danken Sie der Mutter Gottes für Ihre Rettung. (beide hinaus)
Marcel (herein) Der Page, Herr Marchand!
Richelieu Was ist mit dem?
Marcel Er gehört nicht zu der Sorte, die Ihr Vater an einem Abend, wenn er
Kopfschmerzen hatte, mit einem Kapuziner hätte fortgehen lassen.
Richelieu Gute Augen und gute Ohren bei so einem alten Burschen!
Marcel Und gute Ritzen in der Türe.
Richelieu Hör' gut zu, Marcel. Drei Männer als Wachen bei dem Gast da
drinnen, drei bewaffnete Männer. Wenn er Dummheiten macht, dann noch einen Extraverband. Und hör', ich möchte diese Nacht nicht weiter gestört werden. Ich muss einen Brief aufsetzen an Frau Marie de Medici. ... Ja, noch etwas! Den Dieb könnt Ihr laufen lassen.

II

Im Louvre. In einem der langen verwinkelten, mal hellen, mal dunklen Gänge.
Der König (steht neben Luynes vor dem Schlüsselloch einer mächtigen Doppeltür) Lass
mich auch mal, Alberti.
Luynes Pst.
Der König Quatsch, man kann ja doch kein einziges Wort durch die Tür
hören.
Luynes Nein, aber ich kann besser sehen, wenn du still schweigst. Nun droht er
dem Bischof, und der Bischof schielt zu deiner Mutter hinüber und lacht.
Der König Da kommt jemand.
Luynes Lass uns verschwinden.
Der König Es ist nur Vitry. Und ... und mein Gesandter ... Wie können Sie es
wagen, hierher zu kommen, General Birabeau. Wenn meine Mutter Sie sieht, bekommen Sie den Kopf abgeschlagen, weil Sie von der Bastille weggerannt sind.
General Birabeau Zum Teufel auch. Ich habe doch immer noch Gardemaß.
Und diesen Spaß heute lasse ich mir doch nicht entgehen.
Luynes Herr de Virty, ich neige jetzt wohl am meisten dahin, dass wir es noch ein
paar Tage aufschieben.
Vitry Ja doch, Herr Luynes, ja doch. Dann könnten wir zwei uns ja auch sofort
köpfen lassen. Ja, Sie verlören damit ja nicht so viel, aber in meinem Fall wäre es doch eine Sünde und eine Schande. Was meinen Majestät, soll ich nicht den Italiener heute noch in die Bastille werfen?
Der König (am Schlüsselloch) Was meint denn Alberti dazu?
General Birabeau Majestät, Herr Luynes meint, wir sollen.
Vitry Und sind wir uns auch darin einig, dass ich meine Pistolen für den
Fall, dass er Widerstand leistet, geputzt habe.
Luynes Aber kein anderes Blut als seines.
Der König Alle anderen sperren wir nur ein, Mutter und Barbin und den
Bischof, den Bi ... Bischof zu allererst.
Luynes Still! Nicht so laut!
Virtry Niemand hört uns hier. Vater hält ja hier die Wache. Gut, also wären
wir uns soweit einig. Fünfhundert mal Danke. (mit dem General hinaus)
Der König Hast du gehört, die haben zu mir „Majestät" gesagt, alle beide? ... Das
hättest du aber ruhig auch hören sollen. Ach, jetzt langweile ich mich. Alberti, sollten wir nicht nicht ein Schneehuhn laufen lassen? Wir könnten hier so gut Jagd darauf machen. Das ist hier so ein guter Ga ... Gang.
Luynes Ich will jetzt mit diesem Quatsch nichts zu tun haben.
Der König Dann kannst du es auch bleiben lassen, dann mache ich es eben
allein. Denn ich will jetzt auf die Jagd gehen ... dem Schneehuhn geradewegs ins Herz schießen, als ob es der Marschall selbst wäre. Das will ich jetzt (hinaus)
Luynes (am Schlüsselloch) Puha, das kann ja noch stundenlang dauern.
Der König (wieder zurück) Sind wir wieder gute Freunde, Alberti?
Luynes Unser ganzes Leben lang bleiben wir zwei doch Freunde.
Der König Ja, nicht wahr? ... Wer kommt da?
Luynes Die Königin ... ja, deine Gemahlin, du!
Der König Lass uns abhauen.
Luynes Nein, nein.
Königin Anne von Österreich (herein, gefolgt von ihren Hofdamen und ein paar
Herren. Als sie den König sieht, errötet sie und verneigt sich) Guten Tag, mein Herr Gemahl.
Der König (verbeugt sich linkisch) Guten Tag, Madame. (Der Zug entfernt sich
wieder.) Dann hole ich jetzt den Vogel und die Bögen, Du, nicht wahr?
Luynes Dann tu Du das. (Der König geht hinaus. Man hört Mädchenlachen. Luynes
fährt zusammen und drückt sich in die Türfüllung.)
Fräulein Marie de Rohan (kommt hereingerannt, verfolgt von einen Marquis) So
fang mich doch! Fang mich doch! Aber lass Dir dabei nicht die Puste
ausgehen. Denn ich bin ein Windstoß ... Hui. (Er umfasst sie.)
Luynes (springt vor) Wie wagen Sie eine Dame im Schloss der Königin zu
behandeln?
Fräulein Marie de Rohan Uff. Sie hier?
Der Marquis Herr Luynes so mutig? Sie haben wohl eine Marzipanpistole dabei?
Luynes Haben Sie die Güte mir augenblicklich in der Schlossgarten zu folgen?
Fräulein Marie de Rohan Bei allen Heiligen.
Der Marquis Ich soll Ihnen in den Garten folgen?
Luynes (stampft auf) Sogleich!
Der Marquis Kann das denn nicht auch warten? Gott bewahre! Verzeihung,
mein Fräulein. (beide hinaus)
Eine Stimme (schreit von drinnen, während sich die Türe öffnet) Sie können gehen,
gehen, gehen.
Richelieu (in der Tür) Das tue ich auch. Aber nicht, weil Sie es wünschen. ... Frau
Königin! (schließt die Tür)
Fräulein Marie de Rohan: Richelieu!
Richelieu Sie hier? Nein, welche Entschädigung nach all den Toten und
Verrückten da drinnen, Sie Licht des Lebens und der Vernunft.
Fräulein Marie de Rohan Vernunft? Ich und Vernunft?
Richelieu Ja gewiss doch! Was haben Sie mich vor einem Jahr gelehrt? Es steckt
mehr Vernunft in dem Kuss eines Mädchens als in den Gedanken von zehn Staatsmännern.
Fräulein Marie de Rohan Armand!
Richelieu Ja, manchmal haben Sie mich glauben gemacht, es sei das einzige, in
dem Sinn steckt. ... Entwischen Sie mir nun schnell, Sie Liebe.
Fräulein Marie de Rohan Komm mit, Armand, folge mir nun.
Richelieu Kleiner Sonnenstrahl, das darf ich jetzt nicht tun. Die drinnen werden
mich schon bald wieder brauchen.
Fräulein Marie de Rohan Wie ging es denn da drinnen?
Richelieu Eigentlich gut. Er rast jeden Tag wie ein Hund, der die Tollwut hat.
Ich habe ihn bald da, wo ich ihn hinhaben will.
Fräulein Marie de Rohan Und dann werden Sie Premierminister. Alles, was
Sie werden wollen, das werden Sie auch. ... Aber nie das einzige, das ich will.
Richelieu Das einzige, das Sie wollen?
Fräulein Marie de Rohan Dass Sie mein Liebhaber werden, Richelieu.
Richelieu Marie!
Der König (herein) Alberti, hier habe ich ... (Er bleibt erschrocken stehen und
versucht, Vogel und Bogen hinter dem Rücken zu verbergen.)
Richelieu Luynes ist nicht hier. Mein Fräulein, sollen wir gehen? Sie wollen doch
wohl nicht etwa hier im Gang schießen, Herr Ludwig?
Der König Schie ... schießen? Wieso denn? Schießen? Nein! (läuft hinaus)
Fräulein Marie de Rohan Sie verhalten sich richtig fahrlässig gegenüber dem,
was gestern ... Richelieu, warum haben Sie mir nichts von Luynes Plan erzählt? Bin ich denn nur das kleine Dummerchen, mit dem Sie nur etwas spielen, wenn Sie dazu Lust haben?
Richelieu Hat das kleine Küken jetzt auch schon Pläne?
Fräulein Marie de Rohan Wissen Sie es etwa schon? Nein, Sie wissen es
nicht? Ist es denn möglich, dass Sie nicht wissen, was schon gestern hätte geschehen sollen?
Richelieu Jungenstreiche. Ein neues Spiel?
Fräulein Marie de Rohan Etwas ganz Aufregendes, sage ich Ihnen. Kommen
Sie mit. Selbst bekam ich es heute Morgen zu wissen. Bevor es Abend ist, weiß es die ganze Welt. Armer Vitry!
Richelieu Vitry?
Fräulein Marie de Rohan Der Baron sollte gestern den Marschall ermorden.
Richelieu Was sagen Sie da? Erzählen Sie mir alles. Kommen Sie, kommen
Sie. (beide hinaus)
Der König kommt vorsichtig vor, späht herum, droht mit den Fäusten. Marschall d'Ancre stößt im gleichen Augenblick die Türen auf und schreit in gebrochenem Französisch.
Marschall d'Ancre Sehen Sie hier diesen verwinkelten Gang ... Wer ist denn
da? Er? Warum steht Er dort? Ich kann es mir schon denken. ... Lauscht an der Tür.
Der König Mutter, lässt Du zu, dass er so mit mir spricht?
Die Königinwitwe (sitzt weiter hinten an einem Tisch. Sie sieht von einigen Bildern
auf, in denen sie herumblättert) Geh' schon mal vor in Dein Zimmer, kleiner Ludwig. Dann komme ich zu Dir hinüber, wenn der Staatsrat beendet ist. Wir müssen mit dem Marschall etwas Nachsicht haben. Er ist überanstrengt.
Marschall d'Ancre Bekomme ich endlich meine Ruhe vor diesem Jungen?
Die Königinwitwe So lauf' doch endlich, wenn ich es Dir gesagt habe, Ludwig.
Der König Und ich bin volljährig und der König im Lande.
Marschall d'Ancre Sehen Sie hier den Gang. Man hat mir erzählt: In dieser
Nische wurde Graf X nieder gestochen. In jener Ecke fiel Prinzessin Y vergiftet um. Wo ist meine Nische, wo ist meine Ecke? Wer kann Ausländer derart hassen, wie es die Franzosen können? Man soll Kanonen vor mir her fahren lassen auf den Straßen. Ich verlange die Festung Amiens für mich.
Minister Mangot Wir sollten heute noch ein Antwort für Savoyen konzipieren.
Marschall d'Ancre Ja ja ja. Die Papiere? Wo sind die Papiere?
Die Königinwitwe Ach, dieses armselige Schloss! Rubens soll mir alle Wände
prächtig ausstatten. Herr Barbin, schauen Sie doch hier diesen Stich an.
Barbin Äußerst prachtvoll, Ihre Gnaden.
Die Königinwitwe Nein, das können Sie nicht so beurteilen wie mein
Richelieu.
Marschall d'Ancre Wo ist der Außenminister eigentlich abgeblieben? Der
Pfaffe, der mir vor einem Jahr aufgeschwätzt wurde. Er sollte das Ansehen Frankreichs gegenüber dem Ausland erhöhen. Was hat er erhöht? Sein Einkommen auf Kosten der Staatskasse, jawohl.
Die Königinwitwe Und nun Schluss mit dem Herumgerede! An die Arbeit
jetzt! Nehmen wir Verhandlungen mit den Hugenottenbanden auf? Oder schicken wir ein Heer gegen sie los? Abstimmung!
Marschall d'Ancre Ich lasse also mit Höchstgeschwindigkeit abstimmen. Herr
Mangot?
Ein alter Minister Bei namentlicher Abstimmung ist es hier im Staat üblich,
dass dem Alter nach dazu aufgerufen wird.
Barbin Der Großsiegelbewahrer muss zuerst gefragt werden.
Ein anderer Minister Wenn es sich um Heeresangelegenheiten handelt, ist es
doch der Kriegsminister.
Ein dritter Minister Zuerst der Finanzminister. (großes Gezänk)
Die Königinwitwe Macht die Türen zu.
Marschall d'Ancre Die Sitzung ist geschlossen. Sie können gehen. Ich gehe ...
nach Italien ... ich komme nie wieder her.
Die Königinwitwe Lieber Marschall, Sie dürfen mich jetzt nicht im Stich lassen.
Ich habe Ihnen doch den Fürstentitel geschenkt ...
Marschall d'Ancre Weshalb haben Sie das getan? Nein. Ha, Fürst über was
denn eigentlich? Über ein Volk von lauter Rücken, von Rücken, die sich krümmen, die herumbuckeln, wohin man auch blickt, um Pensionen und Almosen zu ergattern. Ich habe seit vielen Jahren kein einziges menschliches Angesicht erblickt.
Barbin Dann schauen Sie doch einmal hier herum!
Marschall d'Ancre Das nennen Sie menschliche Gesichter? Das bezeichneten wir daheim in Italien als Karnevalsmasken. (Er beugt sich zur Königin hinüber,
lacht und sagt etwas auf italienisch. Sie lacht mit.) Ich verachte Ihr Volk, Signor ... Ein Hahn mit Waffen, der kräht und herumprahlt und mit Sporen herumrennt und im Dreck nach Trinkgeld herumscharrt, der schwindelt und vor den Hennen herumscharwenzelt. ...
Ein alter Minister Verzeihen Sie einem alten Mann, dass ich einen gewissen
menschlichen Drang verspüre ...
Marschall d'Ancre ... ng, ng! Sicher auch eine Sprache .... doch sie wird wie
Rotz durch die Nase geschneuzt.
Barbin Meine französische Kollegen, nun haben wir lange genug gegenüber
diesem Herrn Concini geschwiegen.
Die Königinwitwe Ruhe!
Barbin Nein, wenn ich auch dazu den Mund halten würde. Ich fühle mich mit
Dreck besudelt, weil ich mit diesem Schandmaul zusammen in einem Saal sein muss.
Marschall d'Ancre Da haben Sie etwas, worin Sie sich waschen können.
(Spuckt nach ihm.)
Die Königinwitwe (schreit, während alle aufspringen) Die Sitzung ist für eine
halbe Stunde unterbrochen. Bringt den kranken Marschall zur Ruhe.
Der Marschall ist zusammengesunken. Die Königin geht auf den Gang hinaus. Die Türen werden geschlossen.
Richelieu (naht sich hastig) Erhabene Königin, ich ersuche hiermit um meinen
Abschied. Ich kann mit diesen hirnverbrannten Menschen nicht mehr länger zusammenarbeiten.
Die Königinwitwe Sie auch? Selbst Sie? Wollen auch Sie mich im Stich lassen?
Ach, Gott im Himmel, warum hast Du ein Reich auf meine schwachen Schultern gelegt? König Heinrich, warum musstest Du durch den Dolch eines Mörders sterben?
Richelieu Ihre Majestät sollte sich nicht der Verzweiflung hingeben, die zu allen
Zeiten unfruchtbar ist und in jedem Augenblick gefährlich sein kann, weil sie nur Zeit wegnimmt. Ich war beim Nuntius und habe um ein Amt gebeten, wo ich in Frieden für Kunst und Wissenschaft in Frankreich wirken kann, für das französische Theater, für die Reinigung unserer französischen Sprache.
Die Königinwitwe Warum spielen Sie mir so etwas vor? Ich weiß doch, Sie
können gar nicht von mir weggehen.
Richelieu Nein, das ist wahr. Ich bin der Ihre.
Die Königinwitwe Wie Ihre Wangen glühen, sie könnten einen Wald in Brand
stecken, einen Wald voller Herzen lichterloh entflammen! Nein, wie erhitzt Sie sind! Mein lieber, mein kluger Herr Armand! Ach, könnte die Politik etwas mehr forte besorgt werden.! Ich dachte damals, als Heinrich .... gemeuchelt wurde: „Vielleicht ...."
Richelieu Verzeihen Sie, dass ich Ihre Gnaden unterbreche. Ich habe in diesem
Jahr, in dem ich das Glück hatte, Ihnen dienen zu dürfen, gelernt, dass es nur eine Staatsform gibt, die etwas taugt: ein allein herrschender, absoluter Regent, der die Ideen empfängt, und unter ihm ein allmächtiger Minister, der sie ausführt. Deswegen bitte ich Sie ...
Die Königinwitwe Ja, aber ... wenn nun der Regent ... dumm ist?
Richelieu Ihre Gnaden ... ?
Die Königinwitwe In einem solchen Fall ist es umgekehrt: ein
allein herrschender, absoluter Minister empfängt die Ideen und der König unter ihm ist dazu da, sie umzusetzen ... Was suchen Sie denn hier, Baron de Vitry?
Baron deVitry Ich bitte fünfhundertmal um Entschuldigung. Können Sie nicht
die Sitzung des Staatsrats beenden?
Die Königinwitwe Wieso denn?
Baron deVitry Weil ich heute die Wache habe, Euer Gnaden. Und weil ich mich
langweile..
Die Königinwitwe Sie haben doch Ihre Narrenfreiheit, Vitry.
Baron deVitry Die habe ich allerdings. Und zweitausend Dukaten zu wenig
Gehalt im Jahr. Und damit ist alles gesagt, was ich habe.
Die Königinwitwe Noch eine halbe Stunde. Können Sie die noch aushalten?
Baron deVitry Bequem. Verzeihen Sie, dass ich gefragt habe. Fünfhundert mal
Dank. (hinaus)
Die Königinwitwe Ein biederer, schlichter Soldat, ohne gefährliche große
Rosinen im Kopf. Er soll seine zweitausend mehr bekommen, mein braver Vitry. ... Nein, mein großer Armand, wir können Sie nicht entbehren, selbst wenn Sie glauben, Sie könnten uns entbehren.
Richelieu Dann müssen wir den anderen entlassen.
Die Königinwitwe Den Marschall? Nein, ich bin mit ihm und seiner Frau
freundschaftlich verbunden, seit ich meinen Fuß auf Frankreichs Erde gesetzt habe.
Richelieu Sie haben es doch selbst vor einem Monat mir gegenüber angedeutet.
Die Königinwitwe Ich? Unmöglich!
Richelieu Sie selbst sind es, von der ich diese Idee habe. Ich selbst wäre gar nicht
auf so etwas gekommen. Und deshalb ist es notwendig, meine Königin, dass Ihr Plan jetzt auch schnellstens Wirklichkeit wird. Wir müssen Concini verabschieden. Und mit Luynes Verbindung suchen.
Die Königinwitwe Was? Mit wem?
Richelieu Mit dem König und mit Luynes.
Die Königinwitwe Niemals.
Richelieu Ihre Majestät, ich gehe bestimmt nicht darin fehl, dass Gedanken
durch Ihr Mutterherz gegangen sind, dass Sie sich danach sehnen, Ihren Sohn mehr an der Regierung beteiligt zu sehen, als es bisher geschah. Das sind alte Gedanken, die Sie selbst hatten. ... Und glauben Sie mir, es würde ein denkwürdiger Festtag in der Geschichte des Reiches werden, der Tag, an dem ich Sie und den König auf den Balkon vor das jubelnde Volk führte. ... Beide sollten sie Hermelinmäntel tragen. Und Sie sollten das sternenübersäte blaue Kleid unter der schneeweißen Verbrämung des Mantels tragen.
Die Königinwitwe Warum denn gerade das blaue?
Richelieu Weil es so betörend stolz das jugendliche Weiß des Halses und die
italienische Leidenschaftlichkeit und Ruhe des Busens hervorhebt.
Die Königinwitwe Mein Fürst unter den Bischöfen, und Sie sollten dabei den
Purpur einer Eminence tragen. Könnten wir es doch schaffen, Sie zu diesem Zeitpunkt zum Kardinal zu machen. Ja ja, ich will über all dieses weiter nachdenken.
Richelieu Majestät, es ist unbedingt notwendig, dass wir heute noch handeln.
Die Königinwitwe Heute noch? Wieso stehen Sie da und zittern vor Ungeduld?
Wozu wollen Sie mich veranlassen? Unumgänglich? Notwendig? Für mich? ... Was ist das für eine Sprache, die Sie sich mir gegenüber erlauben? Ich gehe jetzt wieder in die Ratssitzung, Herr Minister. (Geht und schlägt die Tür hinter sich zu.)
Pater Josef (kommt aus einer Nische) Richelieu, wissen Sie, dass der
Marschall ...
Richelieu Warum melden Sie mir das erst jetzt, wo es zu spät ist, Sie Klotz?
(schlägt nach ihm) Wenn schon alle kleinen Plappermäuler im Schloss davon tratschen, dann kommen auch Sie damit an und wollen es mir als Neuigkeit melden!
Pater Josef Ich kann nicht alles voraussehen und nicht alles wissen. Ich bin leider
nicht Gottvater.
Richelieu Das sollten Sie aber sein, wenn Sie mir dienen wollen. ... Schnell zur
Seite, Mensch, in die Nische dort. ... Ah, Herr Luynes!
Luynes (will vorbeigehen) Guten Tag.
Richelieu Zwei Worte, Herr Kapitän.
Luynes Mit mir? Sie wollen mit mir sprechen?
Richelieu Nur zwei Worte.
Luynes Hab' keine Zeit. Kommen Sie am Abend.
Richelieu Dann habe ich keine Zeit.
Luynes Was wollen Sie denn, Herr Bischof?
Richelieu Sie sind verwundet? Was? Na ja, nur eine Schramme.
Luynes Ah, das ist doch ein Schnitt.
Richelieu Erlauben Sie mir, ich habe hier ein Tuch. ... War es ein Nagel, der ...
Luynes Ein Nagel? Was meinen Sie damit? Ich habe einen Marquis im Duell
getötet.
Richelieu Getötet?
Luynes Ja. Erheblich verletzt. Er wird sicher daran sterben.
Richelieu Sie haben ihm in den Unterleib getroffen ?
Luynes Ja, ungefähr dort … ein wenig tiefer. Ja, in's Bein. ...Auf jeden Fall ist er
hingefallen. ... Es scheint mir, Sie möchten mit mir sprechen?
Richelieu Ja, Kapitän Luynes, es kann nicht mehr länger so weitergehen.
Luynes (greift zu seinem Degen) Was?
Richelieu Alles. Der Marschall ist krank ... leider nicht so, dass es zum Tode
führt, sondern zum Wahnsinn. Ich habe mit der Königin gesprochen, damit er schnellstens außer Landes geschafft wird.
Luynes Tatsächlich?
Richelieu Was den Platz angeht, der dann im Kronrat unbesetzt sein wird, habe
ich - was jeder als angemessen betrachten wird - ihre Aufmerksamkeit auf Sie gerichtet.
Luynes Auf mich? Sie? Auf mich, mit dem Sie so gut wie kein Wort gesprochen
haben?
Richelieu Ich habe Ihre Fähigkeiten im Stillen erwogen. Und dann noch etwas
anderes: wir zwei sind uns doch darin einig, dass es höchste Zeit ist, den König in die Regierung des Staates einzubeziehen.
Barbin (kommt) Man bittet Sie, am Schluß der Ratssitzung teilzunehmen.
Richelieu Ich komme schon. (Barbin hinaus) Ich wollte Ihnen nur als Erstem und
vertraulich mitteilen, was Ihnen an einem der nächsten Tagen offiziell vom Staatsrat mitgeteilt wird.
Luynes Ich danke Ihnen sehr, Herr Richelieu.
Richelieu Auf gute Zusammenarbeit. Empfehlen Sie mich bitte dem König, Herr
Kapitän.
Luynes Sehr gerne, Herr Bischof. (Richelieu ab) Ja, was nun? ... Ist er wirklich so?
Oder weiß er etwas? Ja, warum eigentlich nicht? (Sieht auf seine
Handgelenke, als ob er die Handschellen daran vermisste.) Was soll ich jetzt nur machen? Ihn allein verschonen? So könnte ich mich absichern ... Heiliger Andreas, hilf mir, wie du allezeit meinem Geschlecht beigestanden hast. .... Ach, scheiß' was drauf! Wer sein erstes Duell gewinnen konnte, kann auch ein Reich regieren. ... Oder ... Nein, das darf nicht geschehen. Nieder mit Vitry! (Die Tür geht auf.) Zu spät, ach Gott, zu spät. (hinaus)
Zwei ältere Minister kommen, miteinander sprechend, heraus und verschwinden. Danach kommt der Marschall, gestützt auf Richelieus Arm, die Königinwitwe folgt ein wenig später.
Marschall d'Ancre Wer wird noch mit mir rechnen, Signor? Wer bin ich denn
noch? Ein Wrack, ein elendiges, verlorenes Wrack. Ich habe mich für Frankreichs Wohl verschlissen. Verschlissen, so dass es in meinem Gehirn drunter und drüber geht, verschlissen, so dass meine Därme bis auf meine Schenkel herunterhängen. Zum Dank hassen mich alle, von den Gassenjungen, die meine Leiche durch den Rinnstein schleifen möchten, bis zu Gott selbst, der meine Tochter tötete. Gibt es ein Wiedersehen? Sie müssen es doch wissen. Siebzehn Jahre nur war sie alt, die einzige Blume in meinem Herzen.
Richelieu Als gute Christen dürfen wir nicht an einem Leben nach dem Tode
zweifeln, Herr Marschall.
Marschall d'Ancre Ich will gerne sterben, gerne sterben. Aber nicht ermordet
werden, nein, nein, nein, nicht diese Stiche in mein Fleisch. Und dann habe ich einen Splitter in den Finger gekriegt. Man kann Wundstarrkrampf davon bekommen. Ich habe hier eine Nadel ...
Richelieu Ich will es versuchen.
Marschall d'Ancre Ihnen zittern ja die Hände.
Die Königinwitwe Lassen Sie mich mal.
Marschall d'Ancre Ja, danke, Frau Marie. Ist meine Wache dort unten?
Richelieu Wer führt sie heute an?
Marschall d'Ancre Das macht ... Ich kann mich nicht daran erinnern. Ja, doch,
Herr de St. Georges.
Richelieu Ja, er steht da und unterhält sich mit Baron de Vitry.
Marschall d'Ancre Au, stechen Sie nicht zu tief, Frau Marie. Oh, das ist gut. Sie
haben mich vom Nichts zu Hoheit und Glanz emporgehoben. Und was sollte ich da? Die unselige Jagd nach Macht. Mein Vater fiel in Toskana in Ungnade; da hatte ich nur zwei Hemden. Ein Dieb stahl mir das eine, da brauchte ich sie nicht mehr zu wechseln. Jetzt kann ich Hemden wechseln, jede Minute, wenn ich es wollte. Aber damals konnte ich singen, und nun ... Verbergen Sie meine Kündigung in Ihrer Brust, meine Königin? Stehst du da und spielst mit dem Dolch im Ärmel, mein Kollege und Freund? Wir sollten wieder dahin kommen, nur noch ein einziges Hemd zu besitzen. Beten Sie zur Heiligen Jungfrau für meine Seele, Herr Bischof. Auf Wiedersehen morgen.
Er geht. Die Königinwitwe und Richelieu sehen sich unsicher an. Dann geht sie wieder hinein und schließt die Tür hinter sich.
Luynes (herein) Herr Bischof, stützen Sie mich oder gehen Sie gegen mich vor?
Richelieu Was soll diese Frage?
Luynes Antworten Sie mit drei Worten. Antworten Sie jetzt.
Richelieu Ach. Ich … ich stütze Sie.
Luynes Aber jetzt hören Sie weiter … Sie haben über mancherlei Dinge Macht.
Da gibt es eine Frau ....
Richelieu (Schiebt etwas abwehrend mit beiden Händen fort.) Nein.
Luynes Ich habe es hier hingekritzelt … Sie versprechen, meinen Plan zu
unterstützen, sie zu heiraten. Unterschreiben Sie?
Richelieu Nein, ich will nicht.
Luynes Sehen Sie sich vor … Ach, tun Sie es doch, ich kann Sie nicht entbehren.
Richelieu Ich kann nicht. Ich kann nicht. (Geschrei von unten)
Der König (kommt herbei gesprungen) Alberti, jetzt ist es geschehen. Ich sah, wie
er hinknallte. Wie ein Kaninchen.
Luynes Dann sind Sie verloren.
Richelieu Ich unterschreibe.
Luynes Hier. Schnell!
Die Königinwitwe (kommt mit den Ministern) Wer wagt es, hier so herum zu
schreien.
General Birabeau Der Marschall ist tot.
Die Königinwitwe Heinrich!
Der König (springt vor) So bin ich jetzt endlich Ihrer Tyrannei entronnen,
Mann aus Luçon, Sehen Sie zu, dass Sie verschwinden.
Luynes Nicht doch, Ludwig. Der Bischof wird uns gut beraten.
Der Gang füllt sich mit Hinzuströmenden.
Die Königinwitwe Mein Junge, mein lieber Junge!
Der König Bist du endlich gefangen, Mutter?
Vitry (herein) Er leistete Widerstand.
Luynes Das ist gut, das ist gut.
Die Königinwitwe Was machen wir nun, mein lieber, guter Richelieu?
Richelieu Die besitzen weder Mut noch Verstand, uns umzubringen. Und daher
werden wir wiederkommen.
General Birabeau Im Namen des Königs, ich arrestiere Sie, Frau Königin.
Die Königinwitwe Dann ist es also aus. Nur vom Himmel darf ich jetzt noch
eine Krone erwarten.
Richelieu (leise zu ihr, während man sie hinausführt) Vertrauen Sie auf mich.
General Birabeau (Hebt den König in die Höhe. ... Jubelrufe) Es lebe König Ludwig
der Dreizehnte.
Der König (schluchzend) Bin ich jetzt wirklich König? Danke! Danke! Es lebe
mein Volk!
Richelieu Es lebe der König!
Vitry Im Namen des Königs: Ich arrestiere Sie.
Richelieu Mich?
Vitry Tja.
Richelieu Mich? Darf ich Ihre Vollmacht sehen?
Vitry Sehr gerne. Bitte sehr.
Richelieu Ein Missverständnis. Folgen Sie mir zum König.
Vitry Auf der Stelle.
Richelieu Ach, Herr Luynes! Hier liegt ein Missverständnis vor. Eine neue und
schwache Regierung wünscht doch als Glückwunsch von Rom weder Bann noch Interdikt. ... Sie werden doch nicht am Anfang gleich einen Bischof ins Gefängnis werfen? ... Das hier zerreißen wir. Nicht wahr, Herr Minister? ... Bitte sehr, Herr Vitry.
Vitry Fünfhundertmal Dank! (Richelieu entfernt sich.) Soll ich ...
Luynes Nichts sollen Sie. Fragen Sie sich lieber selbst, was Sie tun sollen.
Richelieu Josef! Mein Wagen soll vorfahren. Schnell, ganz schnell. (Pater Josef
hinaus)
General Birabeau Warum sind Sie nicht auch in Arrest genommen, Herr
Bischof?
Richelieu Fragen Sie meinen Freund, den Herrn Luynes.
General Birabeau Die Prinzessin sind Sie aber in jedem Fall los.
Richelieu Genau wie Sie. (Baron de Vitry nähert sich.) Es lebe der König ... und die
Mutter des Königs.

III
Im Schloss Luxemburg bei der Königinwitwe. Toskanische Pracht.
Gräfin Marie de Luynes Hör zu, Anna, das Leben kann so vergnüglich sein,
wenn man nur darüber lacht. Ja, eine andere würde sagen, sie sei Witwe. Schau Dir lieber den Rubens da oben an. Was gibst Du mir für die armen Äbte und Bischöfe, die hier herein kommen und die entblätterte Schöne dort ansehen müssen und sich nichts anmerken lassen dürfen?
Königin Anna Na na na, Marie.
Gräfin Marie de Luynes Herr Herzog, Herr Herzog, soll ich Ihre kleine
Herzogin einmal vor Eifersucht fauchen lassen? Was halten Sie von dem Knie dort?
Herzog von Montmorency (herein mit der Herzogin) Die ganze Gestalt erstrahlt
durch die Kunst des Meisters, ebenso wie die meiner Gattin durch die des Meisters aller Meister.
Gräfin Marie de Luynes Wie er das nur sagen kann, der Herzog! Und mit
welchem Blick er dafür belohnt wird. Komm Anna, ich will Dir hier drinnen etwas zeigen. (Plötzlich ganz nah beim Herzog, flüsternd) Stehen irgendwelche Namen im Medallion?
Herzog von Montmorency (leise wie sie) Nur die Eidesformel.
Gräfin Marie de Luynes Gut … Anna, komm. (beide hinaus)
Herzogin Worüber hast Du mit dem Flittchen geflüstert?
Herzog von Montmorency Jeanne, gibt es einen Funken in Deiner Seele, der
an meiner Liebe zweifelt?
Herzogin Nein, meine Seele ist ja erst durch sie entstanden. Ich wusste ja kaum,
das ich am Leben war, bevor Deine Liebe mich gefunden hat. Erst als sie auf mich schien, erwachte ich, wuchs, erblühte, duftete und entfaltete mich.
Die Herzog von Montmorency Mein kleines Maiglöckchen.
Herzogin Aber sie ist wie eine dunkle Wolke, die mich bange macht. Alle
Wolken machen mich bange. Nun sprechen alle von Krieg. Und es gibt Intrigen ... und so viel. Und wenn meine Sonne nun weggeht, dann möchte ich am liebsten nie aus meinem Schlaf in der kalten Erde erwacht sein. Dann gehe ich ins Kloster, dann ...
Herzog von Montmorency Kleine Jeanne, wir zwei werden doch noch viele,
viele Jahre im Lichte unseres Glücks zusammen leben.
Herzogin Ja, das wollen wir. Du musst mir aber versprechen, Dich von allem
fernzuhalten, was gefährlich sein könnte. Wegen der dummen Angst und großen Liebe Deiner kleinen hilflosen Jeanne.
Herzog von Montmorency Ich will mich von allem fernhalten, was für meine
Ehre gefährlich ist. Das verspreche ich Dir.
Herzogin Das ist nicht genug. ... Oh, da ist sie wieder. Lass uns gehen.
(beide hinaus)
Königin Anna Danke, dass du mir Dein Buch geliehen hast. Du kannst es
morgen wieder zurück haben.
Gräfin Marie de Luynes Was hältst Du von der Stelle, wo der Bischof in der
Nacht seinen Kutscher und sein Reitpferd verwechselt?
Königin Anna Ich will nicht mehr darin lesen. Es ist einfach hässlich. Und die
Menschen sind nicht so.
Gräfin Marie de Luynes Du süßes Vögelchen in deinem Bauer. Du willst die
Menschen kennen? Was wurde aus der Sache mit Buckingham, obwohl ich tat, was ich konnte? Man sagt, er habe nur Deine Spitzen gesehen?
Königin Anna Ss ss.
Gräfin Marie de Luynes Der arme Bursche! Na, er konnte sich ja woanders
genug schadlos halten.
Königin Anna So schweige doch, Marie. Pfui doch. Ich verstehe nicht, dass man
sich mit mehreren abgeben kann.
Gräfin Marie de Luynes Das hängt davon ab, wie musikalisch jemand ist, und
wie gut man unterwiesen wird. Du, die Instrumente sind so verschieden. Und es kann auch so aufregend sein, wenn man davor steht, ein neues ausprobieren zu können.
Königin Anna Nein, weißt Du nun was? Jetzt werde ich böse. (Lacht und küsst
sie.)
Gräfin Marie de Luynes Hast Du, hast Du wirklich niemals eine andere Flöte
als die des Königs ausprobiert?
Königin Anna Du sollst nun still sein. (in Tränen) Warum liebt er mich nicht? Ich
habe ihm doch einmal ein Kind geboren.
Gräfin Marie de Luynes Weine doch nicht, Kleines. Sonst weine ich mit.
Königin Anna Ich habe ihm doch einmal ein Kind geboren.
Gräfin Marie de Luynes Ein Kind ist nun vielleicht etwas zu viel gesagt. Es
kam ja mindestens drei Monate zu früh.
Königin Anna Weil Du Dich mit mir auf dem Boden herumgewälzt hast
Gräfin Marie de Luynes (lacht) Dass wir miteinander Fangen gespielt haben,
hat mich ein halbes Jahr Verbannung gekostet.
Königin Anna Herr Gott noch einmal. Deswegen hätte er es doch gut wieder
probieren können.
Monsieur, des Königs einziger Bruder, kommt herein.
Monsieur (deklamierend)
Eine Kontrast offenbart sich meinem Blick,
eine Liebe, die weint, und eine Liebe, die lacht.
Mein Herz, das so manches entbehrt,
was begehrst du noch mehr?
Ach, diese Finger! Jedes Glied ein geschmeidiges Wunder des Lebens.
Königin Anna Lass endlich meine Hand los!
Monsieur Was höre ich, Madame? Dass Sie sich mit dem vorsintflutlichen
Grafen von Chevreuse vermählen wollen? Und da bin ich immer hierher gekommen und habe mir Hoffnungen gemacht!
Gräfin Marie de Luynes Sie wissen ganz gut, es ist mein hochpolitischer Plan,
dass Sie die Königin haben sollen, wenn der König stirbt.
Monsieur Ist das auch im Sinne der Königin?
Königin Anna Ich glaube, es wäre für mich eine zu geringe Beute.
Gräfin Marie de Luynes Nein, wieso? Warum solltest Du nicht einen Sohn
haben, der später den Thron besteigt?
Monsieur Genau, unvergleichlich richtig. Und warum sollte ich ihn nicht auch
haben? Aber könnte man das nicht auf einem weniger unästhetischen Umweg wie einem Todesfall regeln?
Die Königin schluchzt laut auf und geht hinaus.
Gräfin Marie de Luynes Damit haben Sie kein Glück gehabt, Prinz Gaston.
Monsieur Das arme Kind. Sie ist bange vor mir. Wie sie da stand und wegging!
Spitzen Sie nun nicht so spöttisch den schönen Mund! Hm. Sie hat Hände, aber Sie haben einen Mund, einen Mund, einen Mund, einen Mund, Marie des Rohan.
Gräfin Marie de Luynes Puh, nein, ah, nun brauche ich aber eine Pause. ...
Wissen Sie, dass ich einen Brief vom Privatsekretär des Papstes höchstpersönlich erhalten habe. Er schreibt, dass die Verschwörung ... Pst, Marie, halte jetzt deinen Mund.
General Birabeau (tritt zusammen mit dem Erzbischof von Tours ein) Hier ist das
Arbeitszimmer der Königinwitwe, Herr Erzbischof.
Erzbischof von Tour Hier ist ja auch nicht. Ah, Monsieur, Herr Richelieu ist
wohl gar nicht auf dem Fest der Königinwitwe?
Monsieur Er wurde eingeladen. Aber konnte nicht absehen, wann er zu einer
Privataudienz hierher kommen würde.
Erzbischof von Tour Ich weiß das.
General Birabeau (leise) Nicht einen einzigen Tanz haben Sie mir heute Abend
gewährt, Madame de Luynes.
Gräfin Marie de Luynes (gibt sich gleichgültig) Da sind doch so viele andere,
die auch gerne mit mir tanzen möchten.
Erzbischof von Tour Sie hier, Madame! Ich lege keinen Arm lieber in meinen.
(Der General geht hinaus.) Glauben Sie, dass der Krieg gegen Deutschland und Schweden heute Nacht beschlossen wird?
Monsieur Interessiert mich wenig. Das ganze Land glaubt es ja. Warum auch
nicht?
Erzbischof von Tour Hm. Hm. Könnte ich dann vielleicht mit dem Minister
drinnen sprechen. (mit der Gräfin hinaus)
Monsieur Jetzt stehe ich hier und habe keine Dame. Das ist mir seit meinem
elften Lebensjahr nicht passiert. (besieht die Malereien und summt dabei fast
unhörbar:)
Und er küsste mit Begeist'rung ihre Höfte,
und tat's mit Wonne immer öfte,
so dass sie immer dünner wurd'.
Aber was ihr hm hm hm dabei verlor,
kam dann beim hm hm hm hervor. (hinaus)
Königin Anna, noch immer mit Tränen in den Augen, will schnell vorbeieilen, aber weicht dann wieder zurück.
Herzog von Montmorency (herein mit der Herzogin, gefolgt von seinem Sekretär
Chateauneuf) Sie können die Papiere hierhin legen, Herr Chateauneuf.
Die Herzogin Versprichst Du mir also, dass du heim kommst, so schnell es nur
geht?
Herzog von Montmorency Muß ich Dir das denn versprechen, Liebste. Ich
komme nach zum Wagen. (die Herzogin hinaus) Sie können die Papiere hierhin
legen, sagte ich, Herr Chateauneuf. ... Wie lange sind Sie jetzt schon bei mir im Dienst.
Chateauneuf Acht Jahre, Herr Herzog.
Herzog von Montmorency Ich bin sehr zufrieden mit Ihnen gewesen in den
acht Jahren. Aber ... kommt das noch öfter vor, dass Sie den Busen meiner Frau anstarren, , wenn Sie in der Tür stehen, kriegen Sie meine Reitpeitsche zu schmecken. ... Und jetzt warten Sie bitte in der Vorhalle, mein lieber Sekretär. (hinaus)
Chateauneuf Die Reitpeitsche schmecken? Ja, vielleicht. Oder vielleicht doch
den Busen, mein lieber Herzog. (hinaus)
Königin Anna will wieder vorbei gehen, als Richelieu aus der Vorhalle hereintritt.
Richelieu Majestät, Sie im Arbeitszimmer der Königinwitwe zu treffen habe ich
am allerwenigsten erwartet.
Königin Anna Ich habe auch nicht erwartet, Sie hier zu treffen. Ich wäre dann
nämlich nicht hierher gekommen.
Richelieu Frau Königin, hören Sie mich bitte an.
Königin Anna Wenn ich dafür Zeit habe. (will hinaus gehen)
Gräfin Marie de Luynes (tritt mit Monsieur ein) Anna, was haben wir gelacht ...
Herr Bischof, hatten Sie Glück bei einem Tête à Tête mit einer der Damen von Rang?
Monsieur Es tut mir sehr Leid, Herr Bischof. Puyzieux wurde zum Kardinal
ernannt.
Richelieu Ist er schon ernannt?
Monsieur Es ist alles klar.
Richelieu Das freut mich. Er ist ein frommer Mann, der in dieser Position kein
Unglück anrichtet.
Gräfin Marie de Luynes Uns ist es eine schmerzliche Enttäuschung, nicht
sehen zu dürfen, wie Ihr schmales Angesicht sich unter dem Kardinalshut breit macht.
Monsieur Lassen Sie uns den Bischof nicht länger bei seinen frohen
Betrachtungen über den neuen Kardinal stören. (Beide hinaus. Ein paar Diener kommen herein und schließen die Tür.)
Pater Josef (herein mit Papieren) Mein lieber, matter, kranker, banger Herr Bischof!
Ich habe jetzt einen stärkenden Trunk für Sie, jetzt, bevor die Glocke schlägt. Ich war beim Nuntius und habe die Unterschrift des Papstes gesehen. Sie sind zum Kardinal ernannt worden.
Richelieu Ich? Ernannt? Ich? .... Heilige Jungfrau, habe Dank! Jetzt ist
geschehen, jetzt ich habe es endlich erreicht, ich bin Kardinal. (Springt in die Höhe und tanzt um den Pater herum. Da tritt der Herzog von Montmorency wieder ein.) Ach, Herr Herzog. Sie überraschen mich. Die Sache ist nämlich die ... es verhält sich so, dass ich ... dass es in meinem Kopf manchmal so zugeht wie in einem Harem, wo gerade eine Schlägerei ausgebrochen ist. Die Ärzte haben zu Bewegung als Abhilfe gegen die Schmerzen geraten. So hilft es manchmal, wenn man mich herumwirbelt.
Herzog von Montmorency Machen Sie ruhig damit weiter.
Richelieu Auf gar keinen Fall. Es ist schon viel besser geworden. Und jetzt freue
ich mich ja auf eine Nacht zusammen mit Ihnen.
Herzog von Montmorency Glauben Sie denn, dass es bis morgen früh
dauert?
Richelieu Frankreich ist doch bestimmt drei Stunden von des Herzogs Nacht
wert. Nein, Sie brauchen nicht rot zu werden. Ich beneide Sie. Bei mir daheim sitzt kein mondstrahlsanftes Märchen und wartet auf mich. ... Herr Herzog, da mich Ihre Majestät in ihrem und in des Königs Namen gebeten hat, bei einem Treffen mit ihnen meine Pläne darzulegen für den Fall, dass ich einmal Premierminister werden sollte, habe ich mir ausbedungen, dass Sie und nur Sie alleine dabei anwesend sein sollen. Nicht weil Sie der erste und wichtigste Baron des Reiches sind, sondern weil Sie mit Ihrer Gedankenschärfe wie in Ihrer Führung jemand sind, der Männer anderer Nationen vor Neid erbleichen lässt, weil sie sich nicht französisch nennen können.
Herzog von Montmorency Sie reden zu mir als ein Mann, der noch ein Amt
sucht, und mit einer Stimme wie jemand, der eins vergibt.
Richelieu Vielleicht gilt beides von mir. Aber sagen Sie mir jetzt: dieser unselige
Religionsaufruhr in Deutschland ... wir sollten uns jetzt wohl darin einmischen. Nicht um unseres guten katholischen Glaubens willen, denn der wird sich auch ohne uns am Ende der Zeiten durchsetzen, selbst wenn wir ja schuldig sind, seine Verteidiger zu sein. Sondern weil ... ja, weil ... ja ich weiß eigentlich nicht, weswegen ...
Herzog von Montmorency Weil unsere Ehre uns als ein christliches Volk
gebietet, mit Österreich und Spanien gegen die Ketzer zusammen zu stehen.
Richelieu Vielleicht. Aber was gewinnt unser Land dadurch, dass es die Mächte
stützt, die es umklammern und es von der Vormachtstellung fernhalten, die sein ureigenstes und verbrieftes Recht ist? Viel lieber sollten wir .... beim heiligen Blut Gottes! (Beginnt, am ganzen Körper zu zittern.)
Pater Josef Herr Kardinal, ist Ihnen nicht gut?
Richelieu Nein, aber ... Herr Herzog, suchen Sie bitte den König auf, machen Sie
schnell. Sagen Sie ihm, dass ich zuerst mit ihm alleine sprechen muss. Ich danke Ihnen. (der Herzog hinaus)
Pater Josef Lauert hier jemand. Ich habe meinen Säbel hier.
Richelieu Josef, da fällt mir ein Gedanke ein, so simpel, und doch habe ich
niemals …. Nein, nein, selbstverständlich, nein, Frankreich darf nie Österreich unterstützen, das sah König Heinrich richtig gesehen. Lass Schweden gewinnen. Diese Eisbärenfresser wohnen außerhalb der zivilisierten Welt und können nie für uns gefährlich werden. Lass auch die Deutschländer gewinnen. Es gibt so viele, die sich den Sieg teilen müssen, dass für jeden nur ein schäbiger Rest übrig bleibt.
Pater Josef Wollen Sie … wollen Sie ein Bündnis mit den Feinden des HERREN
eingehen?
Richelieu Genau so ist es. Wenn Frankreich jemandem den Krieg erklärt, dann
soll es Österreich oder Spanien sein.
Pater Josef Wollen Sie denn gegen Christi Stellvertreter einen Aufruhr machen,
Herr Kardinal? Jetzt verstehe ich den Plan des ALLERHÖCHSTEN. Denn Sie sollen wissen: Ihren verwerflichen Plänen ist ER zuvorgekommen, noch ehe Sie damit begonnen haben.
Richelieu Was bedeutet dieser Quatsch?
Pater Josef Marie von Medici hat Sie heute Abend als Minister abgesetzt. Ich
habe es Ihnen eben nicht auch sagen können. Sie sind zum Kardinal ernannt, ja, aber unter der Bedingung, dass Sie ihren Aufenthalt in der Kurie haben.
Richelieu Ich in Rom? Ich, den Gott in Frankreich hat geboren werden lassen,
ich, der ich gelernt habe, französisch zu sprechen, zu denken, zu fühlen, zu verstehen? Niemals. Und wenn man mich zum Papst machen würde, ich würde meinen Aufenthalt nicht in Rom nehmen.
Pater Josef Es ist Gottes Wille. Um Ihrer Seele willen. ...
Richelieu Aber der König!
Erzbischof von Tours (herein) Herr Minister, die Königin hat mir drei Minuten
Zeit vor dem Staatsrat geschenkt..
Richelieu Mein lieber Erzbischof, mein getreuer Fürsprecher in der Zeit, als ich
klein und gering war, womit habe ich die Freude, Ihnen dienen zu können? ... Nein, Pater Josef hier ist mein Ohr. Ich höre schlecht ohne ihn. Und das Ohr hat keinen Mund.
Erzbischof von Tours Nun gut. Ich komme, um .... Sie werden noch heute
Nacht Premierminister, ich biete Ihnen meine Unterstützung an. Ich bin alt, aber noch nicht vergreist. Siebzig Jahre ist noch ein gutes Mannesalter für einen Kämpfer. Und jetzt, Richelieu, jetzt ist unsere Zeit gekommen. Ihre und meine.
Richelieu Wie meinen Sie das?
Erzbischof von Tours Unsere Zeit. Meine Zeit. Wer hat Ihnen etwas von den
Schreien im Weinkeller des Bischofhofes in Tours erzählt? Ich war es nicht, der da schrie, es waren die Träume in mir, der Wille zur Macht, der nach Leben verlangte. Nein, suchen Sie nicht nach Anzeichen für Hinfälligkeit in meinem Angesicht, da sind keine. Sind da Runzeln, so sind das Narben der Gedanken, nicht der Jahre. Ja, meine Zähne sind locker geworden. ... Aber der Biss eines alten, zahnlosen Wolfes, der von Hunger gepeinigt ist, ist schärfer als der von jungen und satten Wölfen.
Richelieu Zwei Minuten sind nun schon um.
Erzbischof von Tours Herr Richelieu, Sie und ich werden das neue Frankreich
schaffen. Sie nach innen, ich nach außen. Sie werden ihre langen, sehnigen Arme um das Land schlagen und es so umfassen, dass es zu einer Einheit mit Ihnen zusammengepresst wird. Und ich, der ich so viele schöne Frauen mit meinen Armen emporgehoben habe, ich will dich emporheben, Frankreich, mein Püppchen, meine Herzenskönigin, so hoch, dass ganz Europa sich wundern soll über die Kraft des alten Mannes.
Richelieu Und mit welchen politischen und ökonomischen Mitteln haben Sie
gedacht, dieses Ziel zu erreichen?
Erzbischof von Tours Ich habe einen Plan. Einen Plan, den sonst kein
anderes Hirn als das Ihre sich sonst ausdenken könnte.
Richelieu Einen Plan?
Erzbischof von Tours Frankreich muss so schnell wie möglich ein Heer
aufstellen und Krieg erklären. Wem? Deutschland und Schweden? Nein. Habsburg, Herr Richelieu. Habsburg, Spanien und Österreich ... Frankreich muss alle Feinde Habsburg hinter sich versammeln und vorwärts stürmen auf Europas Herrscherstuhl.
Richelieu Das ist eine alte Idee von mir, die wenigstens die eine Eigenschaft an
sich hat, dass sie paradox ist. Dass dieses katholische Königreich von einem Kardinal mithilfe von Ketzern und Aufrührern gegen katholische Völker gesteuert wird. Ob das überhaupt durchführbar ist, weiß ich nicht. Auf jeden Fall ist es gefährlich und vorläufig nicht von Interesse. Ich danke Ihnen, Herr Erzbischof, dass Sie meine Aufmerksamkeit auf eine Möglichkeit hinweisen wollten, den meine Gedanken auch schon gestreift hatten.
Erzbischof von Tours Entschuldigen Sie bitte, dass ich Ihre Zeit in Anspruch
genommen habe. Ich hoffe, dass ich ein anderes Mal mehr Glück bei Ihnen mit meinen Vorschlägen habe, mein lieber Bischof. (ab)
Richelieu Das wird man sehen.
Pater Josef Alle Teufel sind heute zur selben Zeit in die Geistlichkeit dieses
Landes gefahren.
Richelieu Brunst von Impotenz ist doch die hässlichste von allen. ... Was will
denn der Mann?
Chateauneuf (tritt auf) Sie werden selbstverständlich so einen einfachen
Mann wie mich nicht kennen.
Richelieu Ich kenne jeden, den ich auch nur einmal gegrüßt habe. Was wünschen
Sie, Herr Chateauneuf?
Chateauneuf Ich vertraue auf Sie, Herr Bischof. Sie werden ein mächtiger Mann
in ...
Richelieu Schaff ihn 'raus.
Chateauneuf Und deshalb möchte ich ...
Pater Josef (krempelt die Ärmel seiner Kutte auf) … gerne die Erlaubnis haben zu
gehen.
Chateauneuf … Sie bitten, Ihre Aufmerksamkeit auf ein Medaillon zu richten,
auf ein Goldmedaillon ...
Richelieu (bleibt mit einem Ruck stehen) Wo?
Chateauneuf Am Halse meines Herren, des Herzogs von Montmorency.
Richelieu geht auf ihn zu Er weicht zurück und bleibt dann stehen. Richelieu stützt seine Hände auf seine Schultern, bis sie weiß werden, und schaut ihm in die Augen. Chateauneuf zwinkert damit, aber schlägt sie nicht nieder.
Richelieu Das ist gut, mein Freund: Das werde ich dir nicht vergessen.
Chateauneuf Mein neuer Herr, ich danke Ihnen von ganzem Herzen. (hinaus)
Richelieu Hm. Auch das wird man sehen. Es bleiben noch genug übrig, die man
verbannen oder köpfen muss, bevor eine Regierung dazu kommen kann, dieses Land zu regieren. Ja.
Der König (kommt mit dem Herzog herein) Willkommen, Herr Minister. Dass Sie
mit mir sprechen, bevor Mutter kommt, kann ich Ihnen nicht gut gewähren.
Richelieu Ihre Majestät sind heute Abend nicht gut in Schuß. Ist es wieder der
Magen?
Der König Über Krankheiten soll man besser nicht sprechen. Sonst hat man
zuviel Gesprächsstoff.
Herzog von Montmorency Als ich einmal Zahnweh hatte, habe ich drei Tage
von nichts anderem gesprochen.
Der König Schmerzen sind gesund. Sie sprechen zu einem. Über Vergänglichkeit,
über Beharrlichkeit, über ... über so vieles. Das kennen Sie doch auch, Herr Minister
Richelieu Ja, gut.
Der König Ich war ein alberner und unleidlicher Bursche. Dann kamen meine
Krankheiten. Meine Jugend war futsch. Sehen Sie, ich habe bereits graue Strähnen im Haar. Doch ich danke für meine Schmerzen. Sie haben mich zu dem bisschen König gemacht, der ich nun bin, sie werden mich noch mehr dazu machen. Aber ... wie geht es mir doch so schlecht.
Richelieu Ganz anders steht's mit unserem lieben Herzog, der platzt vor lauter
Gesundheit. Sieh mal an, wie fesch sein Bart ist.
Herzog von Montmorency Was soll das ... Wenn Sie eine Frau sind, die
einen Liebhaber sucht, gehen Sie doch wo anders hin.
Richelieu Und wie ein Kaiser gekleidet. Goldspangen am Knie, Goldketten auf
der Brust.
Der König Das ist nicht besonders witzig. Hören Sie doch damit auf.
Richelieu Und auch Gold um den Hals. (Reißt das Medaillon an sich.)
Herzog von Montmorency Was erlauben Sie sich? (tritt einen Schritt vor, ebenso
Pater Josef)
Der König Was soll das?
Herzog von Montmorency Ich bin ein Mann von Adel. Da Sie die
Zusammenhänge offenbar kennen, hätten Sie mich im Namen des Königs verhaften können. Das wäre Ihr Recht. Und meines. Aber mich anspringen und mich wie ein Taschendieb auf dem Markt zu berauben, ist unanständig dem König gegenüber ebenso wie Ihnen und mir gegenüber.
Richelieu Ich habe mich fortreißen lassen. Ich schäme mich sehr, Herr Herzog.
Möchten Sie das Medaillon wiederhaben?
Herzog von Montmorency Geben Sie es dem König.
Richelieu Das mögen Sie selber tun. (Der Herzog öffnet das Medaillon und reicht es
dem König.)
Der König (liest darin) Wo sind die Namen.
Herzog von Montmorency Aufbewahrt in meinem Schweigen.
Der König Hm. Verschwörung gegen einen Minister des Königs ist Hochverrat.
Was sollen wir machen, Herr Richelieu?
Richelieu Dem Gesetz folgen.
Der König Das grämt mich mächtig.
Richelieu Herr Herzog, warum wollten Sie meinen Tod?
Herzog von Montmorency Den wollte und will ich, weil ich sehe, was auch
der Beschränkteste erkennen kann: Sie sind eine Gefahr für mein Vaterland. Als Luynes die Macht an sich zog, lachte der Herzog von Bouillon nur und sagte: Das Aushängeschild hat sich verändert, aber das Wirtshaus ist das selbe.
Richelieu Und nun glauben Sie, dass ich ...
Herzog von Montmorency Ja, Sie wollen ein Volk von Gleichen, das einem
einzigen Mann gehorcht, während ich ... ach, dass da Gebirge und Ebenen sind, Hohe, weniger Hohe und Niedrige, Wechsel der Schicksale, Kampf und Unruhe, Freiheit ... kurz gesagt: Ich liebe den Unterschied, Herr Richelieu. ... Als ich sechs Jahre alt war, setzte mein Vater mich auf seine Kniee und lehrte mich: Gott schuf den Sklaven für den Befehl, und die Tiere für die Leine, die Menschen aber für die Freiheit und die Verantwortung ... Gerne trage ich jetzt die Ketten für diese adlige Überzeugung, die französisch ist.
Der König Das grämt mich mächtig. Wache! Wache! (Die Wache erscheint.)
Richelieu Der König hat gerufen.
Der König Ja.
Herzog von Montmorency Führt mich ab in die Bastille. Im Namen des
Königs.
Der König Tut, was er sagt.
Richelieu Herr Herzog, möchten Sie noch einmal Ihre Gattin besuchen?
Herzog von Montmorency Ob ich was will? Jetzt? Besuchen? Weshalb? Herr
Minister, sehe ich sie danach nie mehr wieder?
Der König Sie wissen gut, dass wir einen so mächtigen und liebenswürdigen
Mann nicht hinrichten werden.
Herzog von Montmorency Haben Sie Dank.
Richelieu Und wenn nun dennoch ...
Herzog von Montmorency Wenn ... wenn dennoch ... ... Meine arme Gattin!
Jeanne!
Der Herzog wankt, richtet sich wieder auf, wankt erneut, so dass Pater Josef ihn stützen will. Er will ihn wegschieben, aber er klammert sich im Gegenteil an ihn. Richelieu setzt sich plötzlich hin, obwohl der König weiter stehen bleibt. Aber niemand beachtet das.
Richelieu Geben Sie dem König Ihr Wort, dass Sie sich morgen früh in der
Bastille einfinden.
Herzog von Montmorency Ludwig von Bourbon, auf meine Ehre als Ihr
Ritter.
Der König Amen. In Christi, meines und deines Lehnsherren Namen.
Herzog von Montmorency Herr Minister, dass ich in dieser Nacht noch ein
freier Mann bin, verdanke ich Ihnen. Jenes Gemälde, das Sie so oft bei mir daheim bewundert haben, bitte ich Sie als Zeichen meines Dankes anzunehmen.
Richelieu (will aufstehen, aber es geht nicht) Ich danke Ihnen.
Herzog von Montmorency In Chateauneuf werden Sie einen willigen und
gehorsamen Diener finden. Er hat bis jetzt niemals Untreue gezeigt. Meinem Land wünsche ich sodann, dass Sie Ihre gewaltigen Fähigkeiten im Dienst der Kirche einsetzen. Ihnen, mein König, wünsche ich ein langes Leben und die Hand Ihres Vaters zum Regieren.
Pater Josef Gott ist Edelmut und Liebe. Er erhöht das Edle zum ewigen Leben,
das mit dem Liebenden vereinigt ist.
Herzog von Montmorency Danke. (hinaus)
Der König Es gibt doch noch Männer, die ihre Gattinnen lieben.
Richelieu Jeder so, wie Gott es ihm gegeben hat.
Der König Und Gattinnen, die der Liebe wert sind. ... Um der Krone willen ...
früher als in zwei Jahren können wir ihn doch nicht wieder frei lassen. ... Arme kleine Frau Jeanne. ... Na, da ist Mutter. (Pater Josef hinaus)
Die Königinwitwe (herein) Unser heißgeliebter Bischof! ... Ist der Herzog noch
nicht gekommen? Diese frisch gebackenen Ehemänner sind wie Hasen. Man kann sie nur treffen, wenn sie beim Rammeln sind, sonst aber nie. ... Jetzt muss er lachen, weil es ein Bild von der Jagd ist. Innerlich aber ist er jedoch stark verärgert über die leichtfertige Rede seiner Mutter.
Der König (kann wie Leute, die selten lachen, nicht damit aufhören) Dein Vergleich ist
völlig daneben, deswegen muss ich so lachen. Hasen schießt man nicht beim Rammeln. (trocknet seine Augen)
Die Königinwitwe Sollen wir schon beginnen ohne den Herzog von
Buckingham ... von ... von ... von Montmorency (Der König muss dabei so lachen, dass er erst rot, dann weiß wird.) denn sonst ... sonst ... meine ich .... sonst wird es zu lange dauern. Herrgott noch einmal. Ludwig, gib doch endlich wieder Ruhe. Man stirbt nicht an einem Versprecher.
Der König Ist es denn auch notwendig, solch einen Quatsch mit seinem Mund
daherzuplappern?
Die Königinwitwe Du kannst nun nicht einmal nicht vertragen, ein Wort aus
dem Gebiet des Gottes Amor zu hören. Man sollte kaum glauben, dass Du Heinrichs Sohn bist.
Der König Ich achte meinen Vater sehr hoch und hoffe, dass ich von ihm einige
seiner Eigenschaften geerbt habe. Es ist möglich, dass Gaston andere geerbt hat. Ich bin auf jeden Fall zufrieden damit, wie sie verteilt worden sind.
Die Königinwitwe Nun, mein lieber Bischof, jetzt sind wir ja da. Setzen Sie
sich bitte, wir nehmen alle Platz Ein Glück für das Land, dass Bischöfe und alte Königinwitwen nicht derartigen Versuchungen ausgesetzt sind wie Montmorency. ... Nun, was haben Sie uns zu sagen?
Richelieu Majestäten! Sie wissen, dass die stolzeste Stunde in meinem Leben die
war, als es mir glückte, Mutter und Sohn auszusöhnen.
Die Königinwitwe Es glückte zum einen, weil Ihr Verhandlungsgeschick so
über die Maßen groß ist, aber zum anderen auch ein wenig, weil halb Frankreich kampfbereit hinter mir stand.
Richelieu Ein Bürgerkrieg, der nicht ausbrach, weil ich ihn verhütet habe. Er
hätte unzählige Opfer gekostet, vielleicht auch das Leben von Ihnen beiden.
Die Königinwitwe Dann war es auch ein Glück für das Land, dass ein
Thronfolger in Gestalt meines jüngsten Sohns vorhanden war.
Richelieu Ich weiß nicht, ob das für das Land ein Glück darstellt.
Die Königinwitwe Wir haben uns getroffen, um die Zukunft zu beraten. Wir
wollen Ihre Gedanken über den Zustand des Staates hören.
Richelieu Ich habe keine Gedanken, sondern nur einen einzigen. Und der lautet:
Frankreich und der König. Diese zwei sind eins. Darin eingeschlossen dieses: Zur Zeit haben wir hier im Lande tausend verschiedene Willen, davon will ich neunhundertneunundneunzig abziehen.
Die Königinwitwe Meister der kurzen und bündigen Klarheit, sagen Sie uns
auch genau so kurz: Was ist Ihre Aussenpolitik?
Richelieu Noch kürzer: Ich habe keine. Frankreich darf überhaupt nicht an so
etwas denken, bevor es nicht im Inneren geeinigt und erstarkt ist. So lange verhandeln wir nach rechts und nach links und halten alle hin mit Gerede.
Die Königinwitwe In Ordnung. Daraus folgt auch: Der Staatsrat tritt nur
zusammen, wenn man befürchtet, sich zu langweilen.
Der König Das mit den vielen Willen im Inneren? ... Wie wollen Sie die einigen
und stärken?
Richelieu König Heinrich war groß. Er konnte lachen und scherzen, wie es sich
gehört. Das können Sie nicht und ich nicht. Was man nicht kann, soll man auch nicht versuchen. Aber mit Härte kann ich Sie größer machen als König Heinrich je war. Zuerst die Hugenotten. Dass sie es an Gehorsam gegen Gott fehlen lassen, dagegen müssen wir Priester mit Waffen des Geistes angehen. Aber wenn sie den Gehorsam gegen den König vergessen, dann haben wir Soldaten mit Hunger und Schwert.
Der König Hunger?
Die Königinwitwe Sie vergessen, dass La Rochelle am Wasser liegt ... Wo ist
es? Ja, da, tief in einer Bucht ... dass England seinen Glaubensbrüdern Schiffsflotten mit Nahrung schickt, und dass wir überhaupt keine Schiffe haben, mit denen wir was gegen sie unternehmen können. Alles das vergessen Sie, mein Lieber.
Richelieu Mein Erinnerungsvermögen ist aussergewöhnlich scharf, Euer
Gnaden. Haben wir keine Flotte, dann bauen wir ab sofort eine auf. Hier liegen die Berechnungen dafür. .... Das ist vor allem auch lebensnotwendig, weil wir bis heute versäumt haben, uns Kolonien zu verschaffen. Und dazu braucht man eine Flotte. Aber für La Rochelle braucht man die nicht. Wir bauen einen Dann quer über die Bucht und setzen unsere Kanonen darauf.
Der König Das ist ein-ein-einleuchtend genial. Ich führe in dem Feldzug selbst
das Kommando. Die Stadt ist mein..
Die Königinwitwe Nur noch eins, mein kluger, großer Minister: Das Geld?
Der König Ja, das Geld, wissen Sie auch eine Lösung dafür?
Richelieu Nein, das gebe ich zu. Das Geld kann ich nicht beschaffen. Ich weiß
nur den Ausweg: Steuern.
Die Königinwitwe Ja, das ja nicht gerade eine neue Erfindung.
Richelieu Ja, aber jeder Tag, an dem wir nicht Krieg führen müssen, bedeutet
Einsparungen. Und die Güter der hohen Herrschaften, die sich dem König widersetzen, werden uns doch zufallen. Und unsere Schiffe werden uns großen Reichtum über das Meer herbeisegeln. Ruhe und Ordnung bedeuten in sich selbst Einkommen, das ...
Die Königinwitwe Danke für diese interessanten Minuten. Jetzt werden wir
darüber nachdenken, mein Sohn und ich.
Richelieu Soll ich gehen? Jetzt? Ja aber ...
Die Königinwitwe Morgen früh werden Sie von uns wieder hören. Gute
Nacht. Gute Nacht.
Richelieu Gute ... gute Nacht. (ab)
Die Königinwitwe (schließt selbst die beiden Türen) Wache! Passt scharf auf!
Lasst niemanden herein, und wenn es der Apostel Petrus selbst wäre! ... Wann werden wir ihn zum König ausrufen? Denk doch, er setzte sich hin, als ich eintrat. Der Mensch setzte sich einfach hin; und er saß, obwohl Du noch standst. ... Hahaha, und hast Du auch gehört: „ ... ihre Güter fallen uns zu ... unsere Schiffe!" Er glaubt wohl, er sei bereits in unsere Familie aufgenommen. Hast Du auch seinen Ton dabei gehört, Ludwig?
Der König Ich habe seine Worte gehört.
Die Königinwitwe Und hast Du da nicht auch gehört ...
Der König Ja, auch seinen Ton dabei. Aber ich habe keinen so geringen Glauben
an meine Fähigkeiten als König, als dass ich mir nicht zutraue, ihn dirigieren zu können. Und da ich das kann, sieh doch, zu welchem Ziel er Frankreichs Wagen für mich steuern wird.
Die Königinwitwe Unterschreibe seine Entlassung. Du hast mir dein Sohnes-
und Königswort darauf gegeben, dass Du das tun willst.
Der König Ich lag damals mit hohem Fieber danieder und auf den Tod krank.
Du hast mich liebevoll gepflegt, ja das hast Du, Mutter. (küsst ihre Hand) Aber das verletzt mich sehr, dass Du heute den damaligen Zustand Deines Sohnes ausnützen willst. Du verlangst, ich soll heute Abend nicht ausschließlich nach Recht und Pflicht fragen, sondern soll mein Handeln bestimmt sein lassen von einem fieberkranken und mir abgeluchsten Wort. (Trocknet seine Stirn, nachdem er so viel gesprochen hat.)
Die Königinwitwe Dieses Wort willst du doch nicht etwa brechen?
Der König Man soll sein Wort niemals brechen.
Unterschreibt das Papier. Die Königinwitwe greift danach und winkt damit aus dem Fenster.
Rufe von unten Nieder mit Richelieu! In die Bastille mit ihm! An den Galgen
mit ihm! Es lebe Königin Marie! Es lebe der König!
Der König Das grämt mich mächtig. Was wollten wir eigentlich mit dem Treffen
Hier bezwecken?
Die Königinwitwe Er hat uns doch den einen oder anderen guten Rat gegeben.
Der König Das ist ge-ge-gemein. Das ist noch mehr. Das ist italienisch.
Richelieu (tritt durch eine schmale Tapetentür ein, lacht) Ich möchte wetten, die
Majestäten haben über mich gesprochen.
Die Königinwitwe Die Kapelle. Ich habe die Tür zur Kapelle vergessen.
Der König Was wollen Sie hier, Sie frecher, aufdringlicher Mensch?
Richelieu Meine Königin, was habe ich Ihnen getan? Ich bitte um Verzeihung,
aber ich bin mir keiner Schuld bewusst. Meine hohe Herrscherin, nehmen Sie mir nicht mein Lebenswerk, nennen Sie es Hochmut von mir, wahnsinnigen Ehrgeiz. Ich selbst weiß nicht, ich kann nicht unterscheiden, wie viel ich es Frankreichs wegen, wie viel ich esmeinetwegen will. Ich weiß nur, es bedeutet Leben meines Geistes. Begehen Sie keinen Mord an diesem Geist. Erweisen Sie Gnade dem, der um mehr als sein Leben bittet.
Die Königinwitwe Darf ich Sie jetzt einmal so klein erleben, Herr Bischof?
Hahaha! Jetzt noch kleiner als ...
Der König Mutter, du erniedrigst Dich. Stehen Sie auf, Herr Richelieu, und
verschwinden Sie.
Die Königinwitwe Ja, ich erniedrige mich und habe das Jahr um Jahr getan, als
ich mich als Treppe zur Macht und Hoheit habe missbrauchen lassen von diesem ... Kriecher da. Stehen Sie auf, sonst kriegen Sie noch einen Tritt von mir. Ich habe Sie aus Luçon hierher geholt, ich habe Sie in meinen Rat berufen. Und Sie haben Dummheit auf Dummheit begangen, mich von meinem einzigen Freund getrennt, mich von meinem lieben Sohn entfremdet, bis es damit endete, dass ich ins Gefängnis geworfen wurde, während Sie auftrumpften.
Richelieu Glauben Sie das wirklich alles?
Die Königinwitwe Als ich mich aus eigener Kraft befreit hatte ... aus dem
Schlamassel des Still-sitzen-müssens, nicht mehr ganz jung und nicht unbeschwert von meinem Körper ... als ich aus dem Fenster gekrochen und an einer Strickleiter herabgestiegen bin, die hin und her schwankte .... als halb Frankreich kam und sich hinter mich gestellt hat, da kamen auch Sie an. Ja, da kamen Sie dann an, wahrscheinlich von meinen Feinden bezahlt, und haben mich zu einem Vergleich beschwatzt, obwohl ich hätte siegen können, und Gaston wäre nun ... ach, lassen wir das alles sein. Aber heute habe ich endlich gemerkt, dass Sie der König sind und ich wie ein Lakei hinter Ihrem Stuhl stehen soll.
Richelieu König Ludwig, wollen Sie nicht einen Wehrlosen verteidigen?
Der König Ihr Schicksal ist entschieden. Darüber gibt es nichts mehr zu reden.
Richelieu König Ludwig! Dass ER Ihnen Ihre Berufung gegeben hat ... Wissen
Sie nicht mehr, was ich Ihnen an jenem Abend gesagt habe ... das bedeutet, dass ER etwas von Ihnen für Frankreich fordert. Können Sie das ohne mich schaffen? Verstehen Sie nicht, dass ER es ist, der Sie in diesem Augenblick vor die Wahl stellt zwischen ihr und mir.
Die Königinwitwe Was erdreistet sich dieser Unverschämte?
Richelieu Noch mehr. Ich war jahrelang eingespannt in eine Tretmühle, in der
ich mich abmatten musste, und dann in das Netz der Intrigen. Deswegen verlange ich nun eins von den beiden. Entweder machen Sie mich noch heute Nacht zum Premierminister des Reiches, oder Sie lassen dieses Haupt abschlagen, für das ich dann weiter keinen Gebrauch mehr habe und das mich nur mit Schmerzen peinigt.
Der König Was soll ich jetzt nur tun? Ich bin in großer Not. Lass mich in
Frieden, Mutter. Gehen Sie, Herr Richelieu.
Richelieu Ich gehe hier nicht weg.
Die Königinwitwe Dann wird die Wache Sie wegtragen.
Richelieu Gott hat mich dazu berufen, an der Seite des Königs zu stehen. Aber
Sie, Königin Marie, Sie können gehen. Soll ich Ihnen das Verbrechen nennen, das Sie mir nicht vergeben können? Oder wissen Sie es selbst? Ich weiß es. Der Italiener im Kronrat war Ihr Geliebter. Ich wollte es nie sein. Ha, da habe ich ins Schwarze getroffen.
Die Königinwitwe Haust du ihm denn keine 'runter? Du bist mein Sohn und
haust ... Ach, Fluch über euch beide. Ich will hier 'raus, ... nichts wie weg.
(Aber die Türen sind ja abgeschlossen) Aufschließen, aufschließen, aufschließen, zum Teufel, lasst mich hier 'raus, aufschließen! (hinaus)
Richelieu (Wendet sich zum König. Dessen Gesicht ist schmerzverzerrt.) Mein König,
vergeben Sie mir, dass ich Worte gesagt habe... Worte, die niemals gesagt werden durften, die niemand hören durfte ...
Der König Die deshalb vergessen sind ... die nie gesagt wurden. ... Wenn ich ...
wenn ich Sie nun ernennen würde zu ... zu dem, was Sie sich gewünscht haben, würden Sie sich dann freuen?
Richelieu Nein, jetzt nicht.
Der König Vielleicht aber später. Ja. ... Nein. ... Nie. ... Doch jetzt will ich Ihnen
ein Geheimnis verraten: Wir, die wir davon überzeugt sind, dass wir eine Berufung erhalten haben, wir wissen, dass wir damit etwas viel Kostbareres als nur Glück erhalten haben. Glück wünschen wir uns deshalb niema ... nur selten. Sollen es doch die anderen haben.
Richelieu Aber es mag doch Glück bedeuten, seiner Berufung zu dienen?
Der König Nein! ... Nein! ... Nein! ... Wollen Sie mein Premierminister sein?
Richelieu Nur unter gewissen Bedingungen.
Der König Nennen Sie sie mir.
Richelieu Dass ... dass ... Ihre Mutter ...
Der König ... verbannt wird. Das geschieht.
Richelieu Dass Sie mir eine umfassende Vollmacht geben, so dass ich ohne Sie
nichts bin, aber mit Ihnen so wie Sie selbst.
Der König Ja.
Richelieu Dass wir ohne auf landläufige Vorstellungen Rücksicht zu nehmen und
ohne auf menschliche Gefühle: Mitleid, Billigkeit, Furcht, Ehre zu schielen... dass wir ohne irgend andere Rücksichtnahmen oder sonstige kluge Erwägungen einzig und allein auf das Ziel zugehen, in dem wir uns einig sind.
Der König Mein königliches Gewissen kann ich Ihnen nicht opfern. Mein
menschliches ... vielleicht.
Richelieu Das genügt. ... Aber da gibt es noch eins, Majestät. Wenn ich jetzt
Anteil an der Macht bekomme, ist es sehr wichtig, dass die Anderen auch wirklich glauben, dass ich die Macht besitze, und dass sie sich fürchten. Und wenn für alle sichtbar und spürbar werden soll, dass eine Neugeburt stattgefunden hat, ist es notwendig, dass wir uns selbst und Frankreich Blut vorweisen.
Der König Was wollen Sie? Ein Heer?
Richelieu Das Leben des Herzogs von Montmorency.
Der König (zuckt zusammen) Das tut mir gewaltig leid. Und sie werden mich vom
Thron jagen, wenn wir das tun.
Richelieu Hält Sie das davon ab?
Der König Nicht im Geringsten.
Richelieu Diese Antwort war des Herren würdig, den ich über mir haben will.
Der König So beginnen wir zwei das schwere Tagewerk, Glück zu opfern ...
unseres und das von anderen ... um unserer Berufung treu zu sein.
Und er reicht dem Minister die Hand.

IV

Kardinal Richelieus Schloßpark in Poitou. Königin Anna von Österreich kniet vor Gräfin Marie de Chevreuse.
Gräfin Marie de Chevreuse Nein. So hör' doch, Anna. Wenn ...
Königin Anna Ich will überhaupt nichts hören. (springt auf und macht einige
Tanzschritte)

Als mächtige Baumkronen im Wald
sich zu einem wundersamen Dome wölbten
und alle Knospen aufsprangen
wurde der Bach zu einem kleinen Fluss,
der sich hier und da im Spiel verbarg
und über Stock und Stein sprang.
Gräfin de Chevreuse Hör zu, Anna, nun musst Du beichten. Du hast einen
Schmetterling aufgespießt. Was für einer ist es denn? Wenn Du es mir nicht sagst, wer es ist, verpetze ich Dich beim König.
Königin Anna Nein, Marie, das darfst Du nicht. Nein, das wirst Du auch nicht.
Versprich mir, dass Du es nicht tun wirst. Heissa, da ist einer Deiner Schmetterlinge. Bitteschön! Auf Wiedersehen. (ab)
Der Erzbischof von Tours (herein) Hier im Schatten die schönste Blume des
Gartens!
Gräfin de Chevreuse Verhandelt der Kardinal mit Bankier Poulard jetzt über
die Staatsanleihe?
Erzbischof Ha, er ist auf alle unverschämten Forderungen des Köters
eingegangen, er schickte nicht wieder Pater Josef mit dem Granitblock hin.
Gräfin de Chevreuse Und das Gesicht des Köters? Nein? Unersättliche
Geldgier, Begehrlichkeit, Gewissenlosigkeit, alle diese vorzüglichen Eigenschaften, die sich bei uns versammeln. Er sollte zu uns gehören.
Erzbischof Es lindert meinen Durst nach Rache, dass ich jetzt Hilfe bekomme:
Ich komme mir vor, als sollte ich die Hostie in eine Kneipe tragen.
Gräfin de Chevreuse Was ist es denn … sagen Sie es mir doch nun … was
zwischen Ihnen und ihm ist.
Erzbischof Überhaupt nichts. Er ist mein Freund. ... Aber ich besaß einmal eine
Frau, der ich treu war, treu, seit sie sich zum ersten Mal an mich warf mit ihrer blutjungen, strahlenden Schönheit und seit den vielen, vielen Nächten, in denen sie ausgelassen und sorglos im Schoß meiner Gedanken lag. Ich führte sie zu ihm, um sie unter seinen Schutz zu stellen, und er riss sie an sich, jagte mich weg und lachte: "Sie ist mein, und sie war mein, bevor sie Dein war."
Gräfin de Chevreuse Sie lügen. Sie erinnern sich falsch. Sie verwechseln etwas.
Er ... hat niemals etwas mit ... Frauen zu tun gehabt.
Erzbischof Deswegen, ach, könnte man es doch nur selbst! Könnte man doch in
einer mondhellen Nacht über ihn gebeugt stehen, den Dolch an seine Kehle setzen und ihn aufwecken, ihn anlächeln und freundlich mit ihm reden, ehe man damit beginnt ... Hm, das würde mir wie die Frühmesse am Ostermorgen im Dom von Tours sein.
Gräfin de Chevreuse Drohende, kämpfende, unversöhnliche Hände! Sind das
wirklich noch Ihre, die weich wie der Samt der Mitternacht sind?
General Birabeau (hat sie lange aus der Entfernung betrachtet) Schönes Wetter
heute.
Gräfin de Chevreuse Uh! So, Birabeau. Haben Sie gut aufgepasst?
General Birabeau Ja, ich habe aufgepasst. Gräfin d'Alemcourt ist heute früh
angekommen.
Gräfin de Chevreuse Soso. Als ich mit ihr vor zehn Tagen sprach …
General Birabeau Und der König hat ihr bereits versprochen, im Herbst auf
die Jagd nach d'Alemcourt zu kommen.
Gräfin de Chevreuse Ausgezeichnet, ausgezeichnet, mein Birabeau. Dann
werde ich den Kardinal veranlassen, ihm zu folgen.
Erzbischof Ratten sind sehr kluge Tiere, Frau Gräfin.
Gräfin de Chevreuse Wenn aber die Falle gut versteckt, wenn das Stück
Fleisch lockend riecht, wenn der Hunger groß ist ...
Erzbischof Der Köter kommt!
Gräfin de Chevreuse Ja ja, wenn man von der Sonne spricht, blitzt sie auf wie
ein blank geputzter Dukaten.
Bankier Poulard (herein) Dukaten! Dukaten! Dann haben Sie also über mich
gesprochen.
Gräfin de Chevreuse Freilich. Wir haben darüber gesprochen, dass Ihre
Eminenz ein Mann ist, der voriges Jahr an Steuern ...
Bankier Poulard Siebenhundertzweiundneunzigtausend Livre, meine
Gnädigste.
General Birabeau Siebenhundertzweiundneunzig?
Bankier Poulard Tausend.
General Birabeau Tausend?
Bankier Poulard Livres.
General Birabeau Ja, das ist ein Einkommen, das man gern haben möchte.
Bankier Poulard Ich beklage mich nicht. Ich fing an mit dem einen dort und
sah seinen Zwillingsbruder hier, beide nur als so etwas wie Kindersalbe. Aber Steuern sind verdammt noch mal etwas Unerfreuliches. Ja, das ist nun einmal meine Religion. Was bekommt man dafür? Beamte, die einen aussaugen. Man zahlt also Steuern, damit man ausgesaugt wird. Was ist das für eine Mathematik?
Gräfin de Chevreuse Dann kann Seine Eminenz es schnell als billiges Darlehn
vom Juden Nachemson bekommen.
Bankier Poulard Was soll ich bei dieser ekeligen Seuche?
Gräfin de Chevreuse Man meint, dass er bloß mit Ihnen verhandelt, um auf
den anderen Druck ausüben zu können.
General Birabeau Der König!
Der König geht vorbei, ohne sie anzusehen.
Bankier Poulard Er grüßte nicht.
Erzbischof Er ging vorbei und lachte.
Gräfin de Chevreuse Dann kommt er direkt vom Kardinal.
Erzbischof Kommen Sie, General, … Weg mit achthunderttausend im Jahr für
ihn und auch noch für seinen Hanswurst. (beide ab)
Bankier Poulard Morgigen Tags schlage ich auf den Tisch und verlange eine
Entscheidung.
Gräfin de Chevreuse Das machen Sie, wenn Sie der Mann sind, für den ich Sie
ansehe. Und Sie belohnen mein Interesse für Sie mit absoluter Verschwiegenheit über unsere Unterhaltung hier.
Bankier Poulard Was Sie angeht, gnädige Frau, ist mein Mund stumm wie der
eines Fisches. (nach einer Pause) Ja, Ihr Hohn … fein … Nägel sind niedlich, weiß Gott, sie sind es.
Gräfin de Chevreuse Es ist mir nicht bewusst, dass sie niedlicher sind als
irgendetwas anders an meiner Person.
Bankier Poulard Verzeihung, ich meinte … freilich auch …hähähä … Ihre
ganze Person. Man hat ja sowohl oben wie unten Nägel … also: niedlich von Kopf bis zu den Zehen.
Gräfin de Chevreuse Wofür halten Sie mich? Äusserungen dieser Art erlaubt
man sich nicht in den Kreisen, in denen ich verkehre. Ich erwarte Ihre Entschuldigung, Herr Bankier. (hinaus)
Bankier Poulard Die will ich haben, die muss ich haben, der Teufel hole mich,
und wenn sie mich eine ganze Million kostet. (hinaus)
Die Bühne ist leer – leise Musik aus der Ferne.
Gräfin de Chevreuse (herein mit der Königin) Weswegen?
Königin Ja, weswegen ist man froh gestimmt? Weil … weil Menschen einem so
viele schöne Dinge sagen, weil der Himmel blau ist und die Sonne scheint, und der milde Hauch des Windes wie die Hand eines Liebhabers ist, der einem das Haar aus der Stirn streicht, um sie zu küssen.
Gräfin de Chevreuse Über alles das freut man sich nicht, ausser wenn man
froh gestimmt ist, aber …
Königin Küss' mich und lauf' dann. Nein, nicht küssen, nur laufen. Und nicht
lauern, nicht wahr? Versprichst Du mir das?
Gräfin de Chevreuse Das versprech' ich Dir. Grüß' ihn von mir, den
Glückspilz. Aber nur, wenn er nicht einer von meinen ist.
Die Königin wartet voller Ungeduld, versteckt sich, gibt das wieder auf und kommt hervor. Und endlich naht er, der Geliebte, der Glückspilz, König Ludwig XIII. Er kommt linkisch auf die Bühne, kommt mit Bauchschmerzen und wird, noch ehe er sich versieht, mit einem Hagel von Küssen eingedeckt. Und er wehrt sich dagegen und will sich dem entziehen. Und er vergisst seine Bauchschmerzen und vergisst seine Steifheit und fasst sie um die Mitte und hebt sie in die Höhe, als ob er sie Gott zeigen wollte. Dann lässt er sie nieder auf das Gras und küsst er sie zart und legt sein Haupt in ihren Schoß.
König A-A-Anne, na-na-nachts … an Deinem wei-wei-weichen … (Er stockt und
linkische Schüchternheit erscheint wieder auf seinem Angesicht. Und wieder und wieder küsst sie ihn, und er lächelt und liegt da mit geschlossenen Augen.) Liebe Anne, nachts an Deiner Brust … so weich … so gut, liebe, liebe Anne, nachts an Deiner guten Brust … Gott meint es so gut. Selbst ich darf einmal teilhaben an einem so großen Glück … er meint es so überaus gut.
Königin Ludwig, ich liebe Dich.
König Es kam mir vor, als wäre es die selige Ruhe nach dem Tod … Die
schwere Krone wäre mir von der Stirn genommen und sie würde befreit im Schoß der Ewigkeit ruhen.
Königin Ich liebe Dich, Ludwig.
König Deine Liebkosungen umgaben mich wie Engel, Deine Küsse waren wie
Worte aus Gottes Mund, Vergebung für den Sünder, Entrückung, Gesundung, Reinigung, Erhebung, Kuss um Kuss … und mein müdes Haupt ruhte am Busen des Lebens.
Königin Geliebter, Du!
König Nun ist die Nacht schon längst vorbei. Aber Du bist noch immer hier und
mit Dir auch das alles. Alles ist hier. Ah, Du Quelle des Segens, meine Gemahlin, meine Gemahlin. Dein Mund, ach, reiche mir ihn wieder, den kostbaren Kelch, mir, der nie von einem anderen gekostet hat. Dein Mund, kein anderer schenkt mir … harrh …Reinigung und Vergessen, ja am meisten Vergessen.
Königin Höre die Drossel, sie singt Deinen Namen: Ludwig, Ludwig.
König Ja, Anne, sprich mit mir. In der Nacht warst Du stumm. Da gabst Du mir
Leben durch Küsse und Liebkosungen, gib es mir nun in Deinem Wort.
Königin Ludwig, Ludwig! Es gibt nichts anderes. Hör', wieder die Drossel. Und
der Wind, lau und lind vor lauter Glück, wispert von dem Wunder, das
geschieht, wenn das Herz schon aufgehört hat zu hoffen. Hör', wie die Quelle in leisen Schlägen springt. Das ist mein Blut, das in kleinen warmen Tropfen hinüberhüpft zu Dir in meinen Küssen.
König Anne, komm, wir gehen hier im Garten vor aller Augen Arm in Arm eine
Runde.
Königin Traust Du Dich, Ludwig? Ach ja, lass' uns, Geliebter. Denn ich bin die
Prinzessin aus dem Wunderland. (beide hinaus)
Chateauneuf (kommt hinter einem Busch hervor) Bei allen Heiligen!
Gräfin de Chevreuse (kommt hinter einem anderen hervor) Herr
Großsiegelbewahrer, hocken Sie hier?
Chateauneuf Diese Sommerhitze. Ich bin im weichen Gras eingeschlummert.
Gräfin de Chevreuse Das hätte ich wissen müssen. Dann hätten wir doch
hier beisammen sitzen können. Diana! (Pfeift kurz mit einer kleinen Flöte.) Wo ist mein kleiner Hund nur hin gelaufen? Sollen Sie auf's Neue loslaufen, Herr Chateauneuf? Pfeift der Kardinal nach Ihnen? Damit Sie sich einfinden in der Reihe seiner Hunde, Sie, ein hervorragender Mann, in den französischen Adel erhoben. …
Chateauneuf Von ihm.
Gräfin de Chevreuse Teuer bezahlt.
Chateauneuf Da kommt der Hund, nach dem Sie gepfiffen haben. Aber wenn
Sie auch nach allen Geistern des Abgrunds pfeifen, um zu schleimen oder zu drohen, so tue ich es nicht. Ich siege auf der Flucht. (ab)
Erzbischof Ist er vor mir weggelaufen? Er kommt wieder.
Gräfin de Chevreuse Da ist etwas Komisches und verteufelt Verwirrendes
geschehen. Die große Liebe ist über den König gekommen.
Erbischof Ist das seine innige Schwärmerei für Mademoiselle de Hautfort oder
seine vergeistigte für Mademoiselle de La Fayette, die plötzlich handfestere Formen annimmt?
Gräfin de Chevreuse Es ist seine Aversion gegen die Königin, die sich
letzte Nacht in ihr Gegenteil verkehrt hat.
Erbischof Haha. Dann benützen wir sie bei ihm gegen den Kardinal.
Gräfin de Chevreuse Oder der Kardinal benützt sie bei ihm gegen uns.
Erzbischof Dann bringen wir sie wieder auseinander. Ich werde heute Abend
über den Tisch hinweg fragen: "Hat jemand das Gerücht gehört, Sir Buckingham, der alte Gesandte Englands bei uns, sei tot? So, nicht. Dann passt das vielleicht."
Gräfin de Chevreuse Das ist im Übrigen ein böser alter Mann. Aber Sie sind
auch etwas beschränkt. Der König schneidet Ihnen eine Fratze und …
Chateauneuf (herein) Verzeihung, ich … Aber sehen Sie, ich leide Seelenqualen.
Erzbischof Beichten Sie. Ich werde Ihnen alles vergeben.
Gräfin de Chevreuse Kommen Sie auf unsere Seite, Chateauneuf. Auch Sie
haben doch Nutzen von seinem Tod. Damals, als Pater Josef Ihre Schwindeleien in der Staatskasse entdeckte …
Chateauneuf Still, still. … Ich darf nicht mehr verraten. … Immer nachts… Es
war doch das edelste Haupt in Frankreich … und es erscheint in der Dunkelheit … ohne den Leib unter sich … während das Blut aus seinem Hals … tropf, tropf … Es ist nicht zum Aushalten.
Erzbischof Ich habe einen guten Rat für Sie. … Hängen Sie sich am besten auf.
Wer damit anfängt, Verrat zu üben, sollte sich aufhängen, wie Seine Hochwürden, der Bischof von Keriot, oder er sollte sich verhärten, indem er weitermacht, so wie Hochwürden Ichselbst. Ich war kaum siebzehn Jahre alt, als ich zum ersten Mal eine teure Person verriet.
Gräfin de Chevreuse War es eine Frau, die Sie als junger Mensch verraten
haben?
Erzbischof Ja
Gräfin de Chevreuse Eine Frau von Rang?
Erzbischof Ganz wie Sie wollen – von allerhöchstem Rang oder von
niedrigstem. Es war die Heilige Jungfrau, Madame.
Chateauneuf Und die Nächte, die Nächte?
Erzbischof Wein, Wein, Wein, Mann, Blut von Trauben und Weibern. Wozu hat
Gott den Weinstock geschaffen und der Teufel die Frau, wenn nicht nicht für die nagende Nacht?
Gräfin de Chevreuse Bemerkenswert. Diese prachtvolle Blume, riechen Sie
doch mal daran – ganz ohne Duft.
Kardinal Richelieu kommt mit einem Gefolge von Damen und Herren, dicht bei ihm Pater Josef, an seiner Seite Gräfin d'Alemcourt. Er sieht die Gruppe und steuert auf sie zu. Alle weichen ehrerbietig zur Seite. Der Erzbischof geht ihm lächelnd entgegen und schließt sich der Gesellschaft an.
Richelieu Herr Großsiegelbewahrer, wollen Sie bitte hier auf mich warten? …
Frau Gräfin Marie de Chevreuse, Sie kennen noch nicht …
Gräfin de Chevreuse Ich habe Ihren neuen Gast nie vorher gesehen.
Richelieu Gräfin d'Alemcourt, die beste Freundin meiner lieben verstorbenen
Mutter erweist mir die Freundlichkeit, mich zum ersten Mal mit ihrem Besuch zu beehren.
Gräfin de Chevreuse Zum ersten Mal?
Gräfin d'Alemcourt Susannes Sohn wurde ja ein so pflichteifriger Katholik,
und ich bin eine gebürtige Hugenottin.
Richelieu (ergreift die Gelegenheit, etwas zur Sprache zu bringen, was er den ganzen
Vormittag umgangen hat) Es schmerzt mich tief, dass der einzige Sohn von Gräfin d'Alemcourt bei der Belagerung von La Rochelle gefallen ist.
Gräfin d'Alemcourt Nun, er ist nicht gefallen. Er starb vor Hunger, als es in
der Stadt keine Ratten mehr zu essen gab.
Richelieu Und gleichsam als ein Zeichen, dass das in der Vergangenheit
Verhüllte nun auch das Vergessene sein soll, erscheint mir , dass der Tag mir heute einen so teuren Besuch beschert. … Gestatten Sie, Frau Gräfin d'Alemcourt, dass ich diesem schönen Mund die weitere Unterhaltung mit Ihnen übertrage?
Verbeugt sich und geht, gefolgt von Pater Josef, zu Chateauneuf. Die Gesellschaft geht umher und bewundert Bäume und Statuen.
Richelieu Sehen Sie, Pater Josef, dieser Besuch von einer der eifrigsten
Hugenottinnen, was will er uns sagen?
Pater Josef Dass der Widerstand so gründlich gebrochen ist, dass sie jetzt endlich
unsere Freundschaft suchen.
Richelieu Ja. Aber außerdem war die Gräfin ja auch Mutters enge Freundin, und
ihr Besuch und ihre Einladung rührt mich tief. ... Und hier in diesem prächtigen Schloss, ein Gunsterweis des Königs, lustwandeln nun meine Gäste und sonnen sich in meiner Gunst, die den Trotz von ganz Frankreich bricht. ... Meine Macht hatte Erfolg, und meine List hatte Erfolg: Als gestern Abend die Geigen ihre Liebesklagen durch die Säle des Schlosses schluchzten und die Nachtigallen in den Alleen des Parkes flöteten, sah ich mit eigenen Augen vom Balkon aus, wie in dem hellen Mondlicht der Schatten des Königs sich zum Mund der Königin neigte. ... So allmächtig bin ich. So wahnsinnig mächtig bin ich, dass ich jetzt gleich zu einer neuen Schandtat aufbrechen möchte.
Pater Josef Was wollen Sie denn nun noch? Herr Kardinal Richelieu, ich bitte
Sie, unterlassen Sie das.
Richelieu Was denn?
Pater Josef Krieg gegen Spanien … das hieße Gottes Kirche auf Erden im
Zeichen der Selbstzerstörung. Sie waren mein Freund, und jetzt sind Sie
mein Herr und mein Gott. Aber wenn Sie das tun – ich verehre keine Abgötter. Wenn Sie mich vor eine Wahl stellen: ich wähle Christus und nicht Sie.
Richelieu Wer denkt denn jetzt an Spanien? Dieser Krieg ist beschlossene Sache
und wird erklärt werden, wenn die Stunde dafür günstig ist. … Herr Großsiegelbewahrer! … Pater Josef, warum warum kann ich nicht … alles kann ich, nur nicht ein Herz gewinnen, zumindest nicht ihres, das … Nun, Herr Großsiegelbewahrer, wollen Sie bitte ein Schreiben folgenden Inhalts an das Parlament aufsetzen lassen, dass der König dessen Recht aufhebt, Gesetze zu beschließen, aber dessen Vollmacht als oberstes Gericht in jeder unpolitischen Sache bestätigt.
Chateauneuf Es soll ganz so geschehen, wie es Ihre Eminenz wünscht.
Richelieu Aber da ist da noch etwas anderes. Hm. Wenn ... wenn Sie gleich
mitten in der Gesellschaft zufällig vor mir stehen, wollen Sie dann bitte laut, aber eben nur beiläufig diese Worte sagen wollen: "Ich habe einen Brief vom Herzog von Cunningham erhalten."
Pater Josef Was wollen Sie?
Chateauneuf Den kenne ich nicht. Soll ich nicht sagen … sagen:
"Buckingham"?
Richelieu Sind Sie verrückt. Der Mann, den Sie da nennen, ist tot ... und hier am
Hof mehr als tot. Wozu sollten Sie Briefe erhalten von einem, der tot und mehr als geächtet ist?
Chateauneuf Warum soll ich dann sagen …
Richelieu Weil ich das so will, Herr Marquis. Ich habe Sie Stufe um Stufe
befördert, das sollte Ihnen hierfür Begründung genug sein.
Chateauneuf verbeugt sich und entfernt sich ein wenig.
Pater Josef st das nun notwendig? Wo sie heute früh so vor Glück glänzte. Jetzt
verstehe ich, warum.
Richelieu Was ist notwendig? Nichts. Nicht einmal, dass Frankreich existiert. Mit
diesem Rätsel habe ich ein für alle Mal abgeschlossen, um nicht meinen Verstand zu verlieren. Warum spielt ein Kind.? Weil es ein Kind ist. Warum liegt eine Leiche ruhig? Weil es eine Leiche ist. Warum lebe ich und setze mein ganzes Leben für mein Land ein? Weil ich Richelieu bin. Ich will Frankreich zum Himmel emporheben, auch wenn ich selbst dabei zur Hölle fahre.
Pater Josef (mit einem Seufzer) Und Gott passt sich Ihnen an – dabei wie in allen
anderen Angelegenheiten. Warum tut er das eigentlich?
Richelieu Weil ich selbst Gott bin. Ein Wille, der von Klugheit durchstrahlt ist,
das ist Gott. Auch das musste geschehen, Pater Josef. So inbrünstig habe ich darum gebeten, dass die Königin die Gewalt über den Körper des Königs erhält. Ja, aber nie Verfügung über seine Gedanken. Die besitze und behalte ich selbst. Völlig. Die Schlange de Chevreuse, die der Königin in den Ohren liegt, hat nur einen Wunsch: dass sie sich mit ihrem Gift mir nähert. Gut, das verhindere ich. (Die Gesellschaft kehrt wieder um.) Ei, meine lieben Gäste, man ruft nun zum Diner.
Gräfin de Chevreuse Wann erhalte ich die Ehre, zur Rechten der Allmacht
sitzen zu dürfen? Ja, neben Ihnen?
Richelieu Ich? Sie? Ich?
Gräfin de Chevreuse Wann werden wir zwei so klug sein, dass wir wieder
zueinander finden?
König und Königin nähern sich.
Richelieu Es wird ein Tag voller Glück sein, wenn Sie das wirklich wollen, Marie
... de Chevreuse. Darf ich die Majestäten hinaufführen?
König Danke. Ich behalte den Arm der Königin.
Richelieu Welch herrliches Wetter, Frau Gräfin d'Alemcourt. Ihr Gemahl sollte
doch auch hier sein?
Gräfin d'Alemcourt Der Graf hatte gerade einige chinesische Hähne für seinen
Hühnerhof bekommen, sodass er meinte, sich nicht freimachen zu können.
Richelieu Na, Herr Großsiegelbewahrer, haben Sie heute Post erhalten.
Chateauneuf Nichts Besonderes. Nur einen Brief vom … vom Herzog von
Cunningham.
Richelieu Aha, aus England. Vom Herzog von Cunningham. Will seine
Herrlichkeit die Juwelen verkaufen?
Chateauneuf Ja, gerne zu … zu dem Preis Ihrer Eminenz.
Richelieu Gut. ... Wir sollten jetzt aber gehen.
König (Ist bleich geworden und hat den Arm der Königin losgelassen; er will ihn wieder
nehmen, kann es aber nicht.) Herr Ka-Kardinal, wollen Sie bitte die Königin führen.
Königin Aber Ludwig ...
König (zur Gräfin d'Alemcourt) Frau Gräfin, darf ich Sie führen?

V
Im Schloss von d'Alemcourt. In einem der Kardinal Richelieu zur Verfügung gestellten Zimmer. Pater Josef kniet vor einem Kruzifix. Von unten hört man Tanzmusik. Sie ist zunächst schelmisch spielerisch, dann überschäumend und bricht dann plötzlich ab. Beifall, Lachen, laute Rufe. Der Pater erhebt sich und geht in das anstoßende Zimmer.
Gräfin d'Alemcourt (herein mit dem Diener Pierre, der Zweige und Blumen trägt) Gut,
Pierre. Ich vertraue darauf, dass Ihr alles schön dekoriert. Ja, Pierre, Du weißt selbst am besten, wie sehr ich auf Dich heute Nacht vertraue.
Pierre Da kann Frau Gräfin ganz beruhigt sein. Und morgen früh ... ?
Gräfin d'Alemcourt ... wenn alles gut gegangen ist, gehört das
kleine Haus an der Allee Dir und Annette.
Pierre Dafür sind wir beide jetzt schon sehr dankbar.
Graf d'Alemcourt (herein) Liebe Freundin, sie erwarten Dich unten im Saal. Der
König ist müde, liebe Freundin.
Gräfin d'Alemcourt Ich komme sofort. (beide hinaus)
Annette (herein) Ich helfe Dir jetzt, Pierre. Heb' mich doch mal hoch. Aua, nicht
so drücken. So verrenkst Du mich. … Dummkopf, ein Zweig auf einmal. … Ach, welch kräftige Farben doch der Herbst hat
Pierre Das ist genau wie bei einer Leiche.
Annette Pfui doch, was ist das für ein blöder Schnack. Ih, wie die da unten
tanzen. Meinst Du nicht auch, diese Gräfin sei wunderschön, diese Sevreuse?
Pierre Du brauchst keine Angst zu haben, Annette. Die können alle noch so
schöne Augen machen für Deinen Pierre, wie sie wollen, er vergisst doch niemals, wessen Pierre er ist.
Annette Macht so eine wie die denn auch schöne Augen für jemanden wie Dich?
Pierre Brr, hm, hm! Gib niemals viel darum!. Ich sage Dir, die anderen sind für
mich nur, was wir Erlebnisse im Vorübergehen zu nennen pflegen. Aber Dir bin ich mein ganzes Leben lang treu.
Annette Ph! Was für ein blöder Schnack! … Warum ist der König nicht heute
Mittag abgereist? Das wollte er doch.
Pierre Nein, denn er verfehlte einen Adler.
Annette Worüber lachst Du?
Pierre Ach, nichts.
Annette Denk nur, die Sevreuse tanzt mit so wenig an! Pfui! Aber natürlich ist es
ein sehr teurer Stoff … Ja, so ein Kleid bekommt eine andere ja nie.
Pierre Hier sind zu wenig Kerzen, glaube ich.
Annette Aber sonst ist es hier jetzt sehr schön. So werde ich auch für Dich alles
schön machen, wenn wir heiraten. Lauf jetzt los nach Kerzen. (Pierre hinaus)
Man hört draußen Madame de Chevreuses Stimme Verrückter Mensch,
machen Sie, dass Sie weiter kommen. (Handgemenge vor der Tür, die ihr und General Birabeau nachgibt.
General Birabeau Du hast Deine Rolle nur zu gut gespielt Ist da nichts
zurückgeblieben, nachdem seine Augen nur so Deine Brüste verschlangen? Du warst mein, als Du die blutjunge Marie de Rohan warst. Da warst Du ein Engel von Liebreiz, nun bist Du eine Hölle von Schönheit. Du sollst …
Madame de Chevreuse Und jetzt lassen Sie mich los. Ha. Hysterie kann eine
Frau bezaubernd kleiden. Aber sie ist lächerlich bei einem Manne. (hinaus)
General Birabeau Teufel noch eins! Teufel noch eins! (Streicht sich über seine
blutunterlaufenen Augen und die zerquälten Falten seiner Stirn.) Kind? Bist Du hier? Nein, bleibe doch! Ha, Du Milchkälbchen …
Annette Jesus, Maria, helft mir!
Graf d'Alemcourt (herein) Was geht hier eigentlich vor? (Annette huscht hinaus.)
General Birabeau Herr Graf, dieses kleine Mädchen da!
Graf d'Alemcourt HerrBirabeau, entschuldigen Sie, meinen Sie nicht, es sei
jetzt soweit, um ...
General Birabeau Wenn es soweit ist, werde ich auf meinem Posten sein und
mein Handwerk so gut wie irgendeiner verrichten. Bis dahin aber … verstehen Sie mich?
Graf d'Alemcourt Nein, Herr General
General Birabeau Herr Graf, wissen Sie, was meine "Berufung" ist, um mich
auf königliche Weise auszudrücken? Ich, der General, muss lächerlicherweise mein ganzes Leben Limonade trinken, um meinen ewigen Durst nach den Trauben zu stillen, die ich in meiner Jugend genossen habe. Nun also, so gönnen Sie mir doch diese Limonade. Verstehen Sie mich jetzt? Das Mädchen von hier eben ist binnen einer Sunde auf meinem Zimmer und der Schlüssel wieder bei mir. Wenn nicht, schlage ich das ganze Schloss kurz und klein und verrate dem Kardinal das he ...
Graf d'Alemcourt Still, still. Es geschieht alles so, wie Sie es wünschen. Sofort.
Aber seien Sie bloß still.
General Birabeau Dann ist es gut, mein Freund, gut. (hinaus)
Graf d'Alemcourt Ich würde dem Kloster meinen Hühnerhof stiften, wenn es
schon fünf Uhr wäre. (hinaus)
Pater Josef ist unterdessen unbemerkt hereingekommen und hat ihnen zugesehen, aber mit einem Gesicht wie einer, in dessen Augen alles keinen Sinn macht. Nun schaut er zum Kruzifix hinüber und ist weiter in Gedanken versunken.
Richelieu (herein) Meine graue Eminenz, heute Abend fühle ich mich wie ein
Gott. Sie hat mir ihr Lächeln geschenkt. Mensch, Mensch, alter Kriegskamerad, ich habe ihren Mund gekostet.
Pater Josef Herr Kardinal, ich ...
Richelieu Der brave, einmalige, herrliche Freund, dem habe ich es zu verdanken.
Er holte mich aus dem dummen, viereckigen Haus in der Rue St. Honoré hierhin, damit ich erlebe, dass der Herbst Schönheit und Süße besitzt, die der Frühling nie besaß. (schlägt sich vor den Kopf) Alle Ratten, die hier unter den Dielen nagen, halten sich mucksmäuschen still, selbst die Haie hier in der Tiefe blähen sich in dieser Nacht nicht auf. Noch etwas: alter böser Ezechiel, er ritt kurz nach dem General heim nach einem gewaltigen Fressgelage. Schauen Sie doch nicht so verbiestert drein.
Pater Josef Gustav Adolf ist gefallen.
Richelieu Gefallen? Und die Schlacht?
Pater Josef Die hat er gewonnen. Und ist gefallen.
Richelieu Ein einziger Bote?
Pater Josef Zwei Boten.
Richelieu Edler, tapferer König, Du bist genau zu dem Zeitpunkt gefallen, als
Du es solltest. Es macht die Erde arm, wenn ein solcher Stern niederfällt. Aber ich ... Dein Werk soll völlig ausgenutzt werden. Das gelobe ich Dir angesichts deines Todes. Morgen früh erkläre ich Spanien den Krieg und ...
Pater Josef Der andere Bote meldete, der Marschall von Rostand habe den
Dichter Francois Abbé in einem Duell getötet.
Richelieu Ein Dichter weniger ist immer ein Gewinn. Und der Marschall ist
hoffentlich festgenommen worden?
Pater Josef Er ist doch ein Marschall, Herr Kardinal.
Richelieu Das ist wahr. Er ist kein einfacher Bauer. Desto besser müsste er das
Gesetz kennen. Und desto mehr müssen wir ihn enthaupten. Was haben Sie sonst noch angestellt, alter Brummbass? Schöne Damen im Tanz herumzuschwingen, davon halten Sie sich ja fern.
Pater Josef Ich habe mich hingesetzt und mein Testament geschrieben.
Richelieu An einem Abend, an dem das Haus vom Tanzen erbebt?
Pater Josef Tanzen ist kein Bollwerk gegen den Tod. Wäre ich ein Christ, wenn
ich nicht täglich das einzig Gewisse bedächte: meinen Tod?
Richelieu Der Tod ist das Letzte, was man erlebt. Es reicht doch, daran erst ganz
zuletzt zu denken.
"Die Jungfrau schlug die Augen nieder auf seine Schuh,
der Ritter sah es und lachte listig dazu."
Pater Josef Mein Herz schlägt so wunderlich, meine Gedanken sind so
merkwürdig. Ich bitte Sie, lassen Sie uns das Sakrament des Altars miteinander teilen.
Richelieu Nein, nun hören Sie mal, alter Ezechiel! Sollen wir beide mitten bei der
letzten Ölung sein, wenn hier gleich Marie de Chevreuse hereingetanzt kommt?
Pater Josef Und ich habe heute Abend in der Heiligen Schrift gelesen. Welche
Gedanken, glauben Sie, kreisten in Abrahams Kopf, als er sich mit seinem Sohn den Berg Moria hinaufschleppte?
Richelieu Ich bin jetzt überhaupt wenig dazu aufgelegt, über Abraham
nachzudenken.
Pater Josef Und ich habe von Judas mit dem Beinamen "der, welcher ihn
verriet" gelesen. Herr Kardinal, wenn Sie seine Mutter gewesen wären, und ein Engel hätte Ihnen vorhergesagt, welche Tat er einmal verüben und welches Ende er nehmen würde, nämlich Strick und Hölle, hätten Sie nicht Ihre mütterlichen Hände um seine kleine Gurgel gelegt? Hätte Ihnen Ihre Liebe zu Gott und der Welt nicht geboten, sich seiner künftigen Untat in den Weg zu stellen und das Leben des Kindes rechtzeitig zu beenden, um sein ewiges Leben zu sichern?
Richelieu Aber Pater Josef, nun sehe ich erst, Sie sind ja bleich, und Ihre
Hände ...
Pater Josef Lassen Sie mich los! Lassen Sie meine Hände los!
Richelieu Sie sind ja krank, Sie Ärmster, Sie Guter. Sehr ärgerlich, dass das
gerade jetzt passiert, wo ich meinen Gast erwarte.
Pater Josef Empfangen Sie sie nicht. Wie kann denn plötzlich diese Hure ...
Richelieu Passen Sie auf, was Sie da sagen! Sie sprechen zu mir, ihrem Lieb ....,
ihrem Verehrer. Was sie auch sein oder was sie nicht sein mag – sie ist eine Frau, das Ziel der Begierde und Huldigung eines Mannes, mit dem Leib einer griechischen Göttin und einem Geist, der vor überlegenem Witz sprüht ... Pater Josef, meine Jugend ist dahin gegangen. Ich hatte weniger als wenig mit Frauen zu tun, größere Dinge erforderten meine Kraft. Nun habe ich meine Ziele erreicht. In Ruhe und Sicherheit sitze ich auf meinem Ehrenplatz inmitten des Landes, das ich geschaffen habe. Man ist der ständigen Attentate auf mich müde geworden und auch, dass ich sie regelmäßig blutig niedergeschlagen ließ. Aber so will ich nicht ewig da sitzen in Härte und Strenge mit einem Graben voller Blut zwischen der übrigen Welt und mir. Habe ich mein Land zur Größe erhoben, so will ich jetzt auch seinen Dank entgegennehmen: die Zuneigung meines Königs, die furchtsame Huldigung der Männer, das kecke Lächeln der Damen.
Pater Josef Ihre Worte klingen mir äußerst übel.
Richelieu Erstickt die graue Mönchskutte, die Sie einhüllt, bei Ihnen alle
Flammen? Der Purpur der Kardinalstracht bedeutet Blut und Brand. Blut brauche ich nicht länger. Also Feuer, je mehr, desto besser. Das Licht, das in aller Augen lacht, soll auch in meinen entzündet werden. ... Ach, Pater Josef, wer nicht in seiner Jugend begriffen hat, was Liebe ist, begreift es schwer. Und das will ich Ihnen anvertrauen: Der stählern höhnische Blick der Frauen, wenn ich mich näherte, hat mir mehr Pein bereitet als Gedanken an Dolche, die die Herren unter ihren Mänteln tragen könnten, wenn ich vorbei ging ... Verstehen Sie jetzt meinen Jubel heute Abend, Sie liebenswürdiger, mürrischer, abweisender Ochse? ... Die blassen Streiche meiner Jugend in der Morgenröte...
Pater Josef Wie Sie wollen. Wie Gott will. Christus und die Gottesmutter
schenke Ihnen heute Nacht das höchste Glück.
Richelieu Schlafen Sie sich gesund. Treffen Sie mich dann ausgeruht und frisch
morgen früh. Ich brauche heute Nacht weder Christus noch die Heilige Mutter Gottes. Denn ich selber bin ein Gott heute Abend, ich bin selbst ein Gott.
Der Pater geht hinaus. Der Kardinal entfernt einige Stäubchen von seiner Kleidung, bürstet sein Haar, streicht über seinen Bart.
Madame de Chevreuse (herein) Hier haben Sie mich. Verzeihen Sie die
Unruhe meiner Brust. Diese Treppen haben mich ein wenig mehr außer Atem gebracht, als es streng genommen schön ist. Dass Sie hier im Schloss so hoch wohnen ...
Richelieu Den Sternen nah, wie es sich dem geziemt, der von Marie de
Chevreuse besucht wird. (Pause)
Madame de Chevreuse Ich habe Durst.
Richelieu Entschuldigung, Frau Gräfin, ich begrüße Sie und wünsche Ihnen …
alles Gute.
Madame de Chevreuse Danke. (Pause) Sie sind ein Langweiler, Herr
Kardinal.
Richelieu Ich bitte nochmals um Entschuldigung. Ich kann nicht … Dort unten
trägt mich das Fest. Hier … alleine mit einer Göttin …
Madame de Chevreuse Wissen Sie, warum Sie die Gunst einer Frau nicht
gewinnen können, Herr Kardinal?
Richelieu Madame de Chevreuse, warum haben Sie mich während all dieser
Jahre gehasst?
Madame de Chevreuse Sie können es nicht, weil Sie nicht lieben können,
niemand anderen als sich selbst. Sie und mich lieben? Sie wollen mich nur erobern, so wie Sie La Rochelle erobert haben. Ein neuer Triumpf. Der ganzen Welt beweisen, dass …
Richelieu Ich liebe Sie. Fordern Sie , welchen Schwur, welchen Beweis Sie dafür
auch immer haben wollen.
Madame de Chevreuse Hüten Sie sich. Angenommen, ich nähme Sie beim
Wort. Angenommen, ich sagte: Gaston gehört mir, wenn ich will. Verraten Sie Ihren König, und … die Königin dieses Landes wird Ihre Geliebte. Was würden Sie schwören?
Richelieu Meine Geliebte würde die Königin des Landes? Meinten Sie das?
Madame de Chevreuse Einen Beweis dafür! Können Sie mir den geben?
Richelieu Wenn ich damit Ihre Liebe erkaufen würde, hätte das für mich nicht
mehr Wert als irgendetwas anderes, was ich mir kaufe.
Madame de Chevreuse Als ob Sie nicht wüssten, dass Sie alles andere schon
haben.
Richelieu Jetzt bin ich an der Reihe, um den Beweis zu bitten.
Madame de Chevreuse So eine dumme Gans bin ich nun doch nicht, dass ich
geradewegs in eine Falle hineintappe. Ja, gewiss, Sie würden dann morgen früh dastehen und mit einem Lächeln, das Sie immer den Leuten zeigen, wenn Sie etwas zu verbergen suchen, an Ihrem Bart zupfen: "Sehen Sie, mit puren Bekakassinendaunen sind die Kissen gestopft, die die Gräfin d'Alemcourt der Madame de Chevreuse überlassen hat!"
Pierre (herein) Herr Kardinal!
Richelieu Verwegener Mensch, 'raus mit Dir!
Pierre Herr Kardinal!
Richelieu 'Raus! (Pierre hinaus)
Madame de Chevreuse So königlich im Zorn. Ach, warum können Sie nicht
lieben, Herr Kardinal. Ja, ich kriege Sie wohl nicht dazu, auf meinen kleinen, munteren Scherz einzugehen?
Richelieu Und ich kriege Sie wohl nicht dazu, auf meinen einzugehen?
Madame de Chevreuse Also dann … Leben Sie wohl.
Richelieu Marie, warum hast Du mich die ganzen zwanzig Jahre gehasst?
Madame de Chevreuse Bist Du so dumm, Armand? Hast Du vergessen, dass
Du es warst, der mich im Stich gelassen hat? Meinst Du, ich hätte nicht bei jeder Umarmung an Dich gedacht?
Richelieu Marie, Du bist mein, endlich, endlich mein.
Madame de Chevreuse Nein … nicht hier … später bei mir, die ganze Nacht,
wenn alles still geworden ist … mein … Armand.
Richelieu Sage das noch einmal. Deine Stimme klang so wie die meiner Mutter,
als Du "Armand" sagtest.
Madame de Chevreuse Lieber Armand! … Und jetzt werden wir wieder
voneinander getrennt. Aber wenn die vier Schläge der Turmuhr durch die Nacht zittern, wird eine kleine, genau so zitternde Gräfin auf bloßen, rosaroten Füßen zur Tür trippeln und einen Schlüssel umdrehen.
Richelieu Und dann wird …
Madame de Chevreuse … dann wird Frankreichs stolzer Gebieter allein und
aufrecht durch den Billardsaal und weiter durch den breiten Gang dahinter geschritten kommen bis zu der allerletzten Tür, und dann …
Richelieu Dann dreht sich die Pforte der Zeit in seinen schweren Angeln, aber
tatsächlich um zwanzig Jahre zurück, und zwei junge Menschen preisen in einem Meer von Glück Gott dafür, dass das Leben zu ihnen gekommen ist, bevor es zu spät dafür ist.
Madame de Chevreuse Auf Wiedersehen, Armand.
Richelieu Tausend mal Auf Wiedersehen, Geliebte.
Madame de Chevreuse geht hinaus. Der Kardinal blickt wieder hinaus zu den Sternen. Betet er? Jemand kommt.
Richelieu Pater Josef, in dieser Nacht bin ich ein Gott.
Pierre Herr Kardinal, helfen Sie mir. Der General …
Richelieu Ja was will der Kerl denn nun wieder?
Pierre Die Gräfin ist beim König, sie will mich nicht hereinlassen, daher müssen
Sie mir helfen. Der General hat meine Liebste … in seinem Gemach eingeschlossen.
Richelieu Was für ein Unfug? Und was geht mich das an, wo sich Deine Liebste
Aufhält?
Pierre Ach, helfen Sie mir, dass sie wieder frei kommt. Dann werden Sie mir am
Ende dafür Dank sagen.
Richelieu Bursche, Du hast wohl die Reste aus den Bechern getrunken? Mach',
dass Du 'raus kommst? Nichts mehr von diesem Unsinn!
Pierre Lachen Sie nicht. Herr Christus, was soll ich doch noch machen? Sie
müssen mir helfen, Herr Kardinal. Sie dürfen mich nicht wegjagen. Sie sind selbst in großer Gefahr. Alle hier im Schloss haben sich gegen Sie verschworen. Es geht um Ihr Leben.
Richelieu (wirft den Tisch um und springt dahinter) Rühr' Dich nicht. Ich bin
bewaffnet. 'Raus mit Dir! (schreit) Josef, Josef!
Pierre Das wird nichts nützen, Herr Kardinal. Er gehört auch dazu.
Richelieu (Zittert am ganzen Körper gezittert, erstarrt plötzlich, und mit einem Mal
beginnt er zu flüstern:) Er lügt doch. Er lügt doch.
Pierre Herr Kardinal, wenn Sie meine kleine Annette befreien können …
Richelieu Alle dabei, alle dabei, alle, sagte er. Pater Josef, Marie, die Gräfin, der
König!
Pierre Ob auch der König, weiß ich nicht. Aber die anderen alle … Ja aber, ich
will Ihnen helfen, wenn …
Richelieu Gut. Nimm den Säbel dort. Einfach in mich hinein
stechen, haha, es geht noch immer. Schmeiß' den Säbel zur Hölle. Nimm Dich in Acht. (Er verliert sein Wasser. Blasenschmerzen überfallen ihn, so dass er laut aufschreit.) Ah, sie tun mir so gut, diese Schmerzen, sie beruhigen mein Gehirn. Komm nur her, her zu mir, mein Freund, und hilf mir wieder auf. … Wie heisst Du?
Pierre Pierre
Richelieu Gut, Pierre. Danke! Du, wie kommen wir hier 'raus?
Pierre An allen Ausgängen stehen jetzt Wachen. Und niemand kommt hinaus
ohne einen Pass der Gräfin.
Richelieu Auch nicht durch einen Geheimgang?
Pierre Davor stehen doppelte Wachen. Aber ich könnte mir denken … die Tür
hier ist ja schmal. Wenn wir nun jeder seinen Säbel nehmen?
Richelieu Das wird nichts bringen. Wollen sie hierher kommen?
Pierre Einige wollten das. Die meisten haben sich aber darauf eingestellt, auf Sie
im Billardsaal zu warten. Sie meinten, Sie würden dort durchkommen.
Richelieu Durch den Billardsaal, ja.
Pierre Aber meine Annette, Herr Kardinal. Ich fürchte, dass es dringend ist.
Richelieu Deine Annette? Wenn nun …. oder … wir könnten ja …Ja, wenn der
General in sein Gemach gehen will … dann lauf' schnell zu ihm und richte ihm von mir aus, ich möchte ihn auf der Stelle sprechen.
Pierre Und wenn er nicht kommen will?
Richelieu Wir wollen bei allen Heiligen hoffen, dass er will. Hol' mir Pater
Josef.
Pierre Ja aber. Gut! (hinaus)
Richelieu Herr Jesus, erbarme Dich meiner. Heilige Mutter Gottes, bitte für
mich.
Pierre (herein) Pater Josef hatte sich hingelegt. Er kommt sofort.
Richelieu Gut, Pierre, geh jetzt auf Deinen Posten. (Pierre hinaus)
Pater Josef (herein) Was wollen Sie von mir, Herr Kardinal Richelieu?
Richelieu Verschonen Sie mich, Pater Josef, lassen Sie mich leben!
Pater Josef Sie wissen es? Von wem? (zeigt auf das Kruzifix) Hat ER es verraten?
Richelieu Ich will heute Nacht noch nicht sterben. Mein Werk ist noch nicht
fertig. Vor mir liegen noch Jahre voller Arbeit, und Jahre voller Machtausübung und … nein, nein, nein. Und ich wage auch noch nicht zu sterben. Wenn ich heute vor Gott Rechenschaft ablegen sollte! Ich war zu mild den Hugenotten gegenüber, habe viel zu wenige verbrannt. Was würde Gott jetzt dazu sagen? Verschonen Sie mich heute Nacht, Pater Josef. Haben Sie Erbarmen.
Pater Josef Zu spät.
Richelieu Nein, man kann doch Auswege finden. Ich leihe mir Ihre Kutte und
mache mich davon. Oder ich ziehe meinen Kardinalsmantel an, und dann laden wir zur Messe ein. Wer wird es wagen, den Gesalbten Gottes vor dem Altar nahezutreten?
Pater Josef Es ist nichts mehr zu machen.
Richelieu Judas!
Pater Josef Ja, ich bin Ihr Judas. Ihr Judas und zugleich Ihr Jesus bin ich. Ich
liebe Sie ja, mein Herr und mein Freund, und dafür muss ich Sie erlösen – Sie erlösen, indem ich Ihr Leben verrate, bevor Sie Ihre Seele verraten.
Richelieu Mein Leben! Allmächtiger Gott! Jetzt stürme ich die
Himmelspforte, also vergebt mir, alle Heiligen. Erlöse mich, Du, Gott. Ich bin doch nur Richelieu. Nein, nein, erbarme Dich meiner, Herr, ich will Mönch werden, Türklinken putzen, den Boden schrubben, will nur noch ein kleiner Klosterbruder sein, dem man gut gestatten kann, noch ein paar Jahre zu leben.
Pater Josef Ich bin Jesus und Judas, Jesus und Judas. Schlagen Sie mich nicht
länger an's Kreuz, geben Sie mir jetzt den Strick.
Richelieu Hören Sie endlich auf mit dem Schreien. Es macht mich ganz verrückt.
Ist es denn nicht schon genug, wenn ich mich so anstelle? … Pater Josef, wie konnten Sie nur, wie konnten Sie das nur tun?
Pater Josef Ich konnte es nicht. Und ich sollte es doch tun. Ich bin nicht mehr
Josef. Abraham bin ich. Mein Verstand ist zersprungen. Wollen Sie einen Verrückten zur Rechenschaft ziehen? … Herr Kardinal Richelieu, wir stellen uns gleich Rücken an Rücken - jeder mit seinem Säbel - dort hin und fallen gemeinsam unter den Schlägen. Das wird für uns beide dann die Erlösung sein. Erlauben Sie es mir.
Richelieu Nehmen Sie das Buch, Pater Josef, und schlagen Sie es auf's
Geratewohl auf. Heilige Jungfrau Maria, lass mich doch an einem Herzschlag sterben, lass mich nicht abgestochen werden … … Ist ER es, dem ich gleiche? Bin ich IHM nahe gekommen? Nein, das will ich doch nicht. Nein … So schlagen Sie endlich auf. Lassen Sie uns Gottes Wort hören.
Pater Josef "Er sprach aber: Wahrlich, ich sage Euch: Kein Prophet gilt etwas in
seinem Vaterland. Aber ich …" Ich kann die Worte nicht mehr sehen.
Richelieu Fassen Sie sich. Und lesen Sie weiter.
Pater Josef "Und sie standen auf und führten ihn an den Abhang des Berges, auf
dem ihre Stadt gebaut war, um ihn hinab zu stürzen. Aber er ging mitten durch sie hinweg."
Richelieu Hm. Ja, das konnte ER ja machen.
Pierre (herein) Der General, Herr Kardinal. Er kommt.
Richelieu Pater Josef, gehen Sie wieder ins Bett. Und seien Sie still darüber, dass
ich alles weiß. Darf ich mich in diesem einen Punkt auf Sie verlassen?
Pater Josef Mein lieber Herr, erlauben Sie mir, dass ich …
Richelieu Gehen Sie. Gleich kommt ja Ihr neuer … Freund. (der Pater hinaus)
Pierre, geh nun dort hinter die Tür und halte Deinen Säbel bereit, wenn er mich anfallen sollte. Nur Mut, Kerl, Du hast den rechten Herrn gewählt. Du heißt Pierre, aber Du kannst Pair werden. (Pierre hinaus)
Richelieu (setzt sich mit dem Rücken zur Tür und schreibt. Es klopft, einmal, zweimal,
dreimal.) Herein. Sind Sie es, Herr General?
General Birabeau Ja, Ihre Eminenz.
Richelieu Gut. …. Soeben wurde mir eine sehr unangenehme Neuigkeit
gemeldet. Sie können sich wohl nicht denken, worum es sich handelt?
General Birabeau Nein … nein, das kann ich nicht, Ihre Eminenz.
Richelieu Ein Bote hat mir gemeldet, dass sich Rostand heute Vormittag in Paris
duelliert hat.
General Birabeau Der Marschall?
Richelieu Ja, er hat sich duelliert. Obwohl der König Duelle in jeglicher Form
strengstens verboten hat. Gleichzeitig wird mir gemeldet, dass ein hoher Würdenträge in dem selben Schloss, in dem Seine Majestät sich aufhält, sich eine andere Unbotmäßigkeit erlaubt hat. So führen sich diese Herren in Frankreich auf, vor dem Angesicht des Königs erlauben sie sich Gesetzlosigkeit und Barbarei. Aber wissen Sie, was ich tun werde? Wenn sie es niemals lernen, dann … (Macht eine Bewegung, als wenn er einem Tier den Todesstoß gibt.) Die Hugenotten liegen unter meinem linken Fuß, den rechten habe ich noch frei. Haben Sie verstanden, Herr General Birabeau.
General Birabeau Herr Kardinal …
Richelieu Ja. … Sie legen den Schlüssel zu Ihrem Zimmer hierhin auf den Tisch.
Nun! Danke. Sie haben dreimal das Leben des Königs gerettet. Deswegen soll diese Sache hier unter uns beiden bleiben. Aber noch eine Unregelmäßigkeit mehr, und Sie sind erledigt. Weggetreten! (der General hinaus)
Pierre (herein) Herr Kardinal!
Richelieu Dort!
Pierre Hurra, jetzt will ich für Sie sterben, Herr, ich will für Sie sterben, ich will
für Sie sterben! (stürmt mit dem Schlüssel hinaus)
Richelieu (zum Kruzifix) Nur noch Du. Jetzt habe ich nur noch Dich. Zeige mir
…. Lass mich ihnen allen zeigen, dass …. Das ist genug. (Und dabei klappern ihm die Zähne im Mund.)

VI
In den Gemächern des Königs im Schloss von d'Alemcourt. Der König, Monsieur, der junge Herzog von Montmorency, Der Erzbischof von Tours, der General und Mademoiselle de Hautefort sitzen da und spielen Karten. Marbout, der Narr des Königs, reitet auf einem Spiegel oben unter der Decke. Der König erhebt sich und geht hinaus.
Monsieur Die Erfindung soll in China gemacht worden sein. (leise:) Also sind wir
uns darin einig, zuerst gehen wir zu Ludwig und verlangen, dass er verhaftet wird. Wenn er dann aber Widerstand leistet … Das habe ich so von einem ganz gemeinen Landskecht in Holland gelernt.
Der junge Herzog von Montmorency (leise:) Das wäre der ehrenhaftetste
Weg, um vorzugehen.
Erzbischof Taugt nichts. Der König wird das niemals machen. (laut) Jetzt spiele
ich zum Schluss rot. (leise:) Auf jeden Fall müssen wir ihn dazu in eine bessere Stimmung versetzen.
Mademoiselle de Hautefort Die Unruhe des Königs heute Abend hat doch
hoffentlich keine tieferen Ursachen?
Monsieur Sicher nur innere.
Der Narr Marbout (mit gellender Stimme) Seine Majestät hat wieder seinen
königlichen Einlauf bekommen.
Monsieur Sie machen Ludwig mit all ihren Pülverchen kaputt. Wer versetzt aber
den König in eine bessere Stimmung?
Erzbischof Das mache ich.
König (herein) Warum tanzt denn Anne heute Abend nicht? Ist es denn nötig,
dass wir uns alle langweile?
Erzbischof Nun ist der Abt von Viergy tot, Majestät.
König Dann fehlt dem Teufel einer weniger in der Hölle.
Erzbischof Ich war bei ihm, als er starb.
König Waren Sie das? So? Wie sah er nochmal aus? Können Sie mir das
vormachen? Ja ja, richtig, jetzt sehe ich ihn wieder vor mir. Freilich hat er die Augen noch ein bischen mehr auf. Aber da ist doch nichts gegen Birabeaus Herzog von Bouillon. Lassen Sie uns auch den wieder mal sehen. Ja, ja, ist er nicht großartig, der alte Fuchs? Als ob er selbst … nein, das ist wirklich gut.
Erzbischof Ich weiß das selbst auch, Majestät. Ungefähr so, nicht wahr? Und
wenn der Kardinal einmal einschlummert … so, sehen Sie?
König Nein, so etwas! … Sie sind ein Könner, Herr Erzbischof. Hahaha, ich
werde das Gesicht die ganze Nacht vor mir sehen. Gute Nacht, gute Nacht! (Die Herren verneigen sich und gehen.) Gaston, Du glühst ja vor lauter Gesundheit.
Monsieur Ja, und Du siehst blass aus, mein lieber Ludwig. Du bist ganz
mitgenommen vor lauter Mangel an Ausschweifungen.
König Du bist ein Witzbold. Aber wer kann auch das Lachen sein lassen bei so
einem … einem … einem … Menschen. (Monsieur hinaus) Er ist doch drollig, der Flegel.
Mademoiselle de Hautefort Jetzt spielen sie wieder auf, Sire.
König Sollen wir uns zu einem kleinen Tanz hinunter begeben?
Mademoiselle de Hautefort Ach, das wäre nett.
König Wir könnten uns aber auch niedersetzen und eine Partie mit diesem neuen
Spiel machen.
Mademoiselle de Hautefort Sie wagen nun doch nicht, mich aufzufordern,
da Sie nicht tanzen wollen, weil Mademoiselle de La Fayette nichts vom Tanzen hält.
König Nein nein, dann lassen Sie uns mal gehen.
Mademoiselle de Hautefort Ihre Gnaden, verzeihen Sie, dass ich vorlaut
gewesen bin. Ich spiele gerne mit Ihnen, wenn Sie es wünschen.
König Gott sei Dank, ja, dann lassen Sie uns spielen.
Der Narr Marbout Da hattest Du wohl Angst, Gevatter.
König Womit spielen Sie denn da herum? Haben Sie da etwa einen Brief, den ich
mir ansehen soll?
Mademoiselle de Hautefort Ja, wenn Sie mir den abnehmen können. Da ist
er. Da. Da.
König Sie sind flink dabei, mich abzulenken, Kleine. Ha, jetzt habe ich ihn. Da.
Mademoiselle de Hautefort Nein, ich halte genau daran so fest, wie Sie am
Kardinal. Und beides ist wirklich gleich dumm.
König Aus dieser Ecke entwischen Sie nicht.
Mademoiselle de Hautefort (steckt den Brief in ihren Ausschnitt) Ha, Sire. Weg
ist er. Wo ist er wohl geblieben?
König Sie haben ihn ja versteckt. Ja aber … nein … Geben Sie ihn mir.
Der Narr Marbout Brauchst Du eine Zange, Gevatter? Soll ich Dir eine Zange
anreichen?
König Freches, naseweises, buckliges Stück, wird er wohl seinen vorlauten Mund
halten? Gute Nacht, Mademoiselle, Sie haben mich heute Abend ermüdet.
Mademoiselle de Hautefort Ja aber, Sire ...
König Ich wünsche keine Anspielungen auf meine Ratgeber von meinen …. Von
den Hofdamen der Königin. Marbout, geh' hinüber und frag' nach, ob Mademoiselle de La Fayette nicht bald damit fertig ist, der Königin vorzulesen. (beide hinaus) Warum fiel das Wildschwein nicht um? Ich kam doch so gut zum Schuss. Zittern mir schon die Hände? … Hm. Armes Tier. (Die Königin kommt herein.) Anne? Du? Ich dachte, Du seist längst im Bett. So lange auf zu bleiben ist nicht gut für Deinen armen Taint.
Königin Wenn ich schlaflos im Bett liege, ist das dann besser für meinen armen
Taint?
König Na, war das denn jetzt so verrückt von mir? Ich wollte Dir doch nur etwas
Freundliches sagen und dann … Liebe Anne, was willst Du denn von mir? Ich habe einen anstrengenden und unerquicklichen Tag hinter mir. Ich hätte jetzt schon längst wieder in Versailles sitzen können, wenn ich nicht den Adler heute früh … aber das tue ich nicht, beim Teufel, ich tue es nicht, ein angeschossenes Tier zurücklassen … Hast Du irgendein Anliegen an mich?
Königin Dann hätte ich sicher einen Lakei geschickt. ... Nein, ich muss jetzt
unbedingt ein wenig mit Dir sprechen, Ludwig. Ich kann schlechterdings nichts mehr von dem allen verstehen. Dass der Herbst den Sommer zur Lüge macht! Dass alle Blumen so schnell und grausam abgerissen und nierdergetrampelt werden, und alles wieder so sein soll, als wäre nichts geschehen.
König Anne, wie Du mich langweilst. Wie Du mich langweilst.
Königin Ich habe doch wirklich nichts getan. Ach, hätte ich nur. Dann wäre es
vielleicht auszuhalten. Aber so .... Bei der Heiligen Anna, deren Name ich trage, es spielte sich nichts zwischen Buckingham und mir ab. Ludwig, schlage mich nicht, ja, ja, oder mach es nur, aber es ist die Wahrheit, es spielte sich nichts ab zwischen ihm und mir.
König Spielte sich ab?
Königin "War", also "war" da – da war nichts zwischen uns.
König Wie weit, rechnet man im reichen Spanien, kann es bei "nichts" gehen?
Königin Und außerdem ist es auch zehn oder fünfzehn Jahre her, dass es
geschah.
König Dieses Nichts, das nicht geschah.
Königin Ja, dieses Nichts .... Du machst mich ganz verrückt.... Lächelte ich ihn
ein- oder zweimal an, röteten sich meine Wangen, wenn dieser schöne, ritterliche Mann vorbeiging .... bei allen Heiligen! ... Ich war doch so jung damals, ich war noch ein Kind. ... Und Du kamst ja nicht nach meinem ... Unfall zu mir.
König Unfall … na.
Königin Ja, wie ich auf den Teppich fiel. Ist es nun auch schon ein Verbrechen,
wenn man strauchelt. Ach, was habe ich doch nur verbrochen, dass ich mein Leben vergeuden soll in der Wüstenei einer solchen Ehe? ... Und was Deinen Vater betrifft, der sich beschmutzte, mir ...
König Wenn Du Vaters Namen in den Mund nimmst, vergesse ich, dass Du eine
Frau bist.
Königin Ludwig, warum darf ich Dir nichts vorwerfen? Dann würde es leichter
sein für mich. Und Du könntest mich auch besser verstehen. Du bist krank, gehst umher und brütest etwas aus, was niemand außer Dir versteht. Könnte ich Dich doch wieder gesund machen. Um meinetwillen, Ludwig, um unserer Ehe willen, versuche es doch einmal, nimm Dir eine Geliebte, Mademoiselle de Hautefort ist mehr als willig. Oder überrede meine kleine de La Fayette.
König Und alle Verse der Poeten rattern das Lob der Keuschheit der Frauen
herunter.
Königin Ach nein, es ist hoffnungslos! Du verstehst das Leben nicht. Du
verstehst zu schlecht und erinnerst Dich zu gut. Das liegt wohl teils an Deiner Schwachheit und Deiner ganzen Natur, und das gestehe ich Dir dann auch zu. Aber teils auch ... und das ... nein.
König Ich weiß nicht, was Du meinst.
Königin Du weißt es nicht? So weißt Du nicht, was das für ein Eisberg ist, der
seinen höhnischen, ewigen Schatten zwischen uns wirft. Ach, ich glaube, dass jedes Mal, wenn er sich in seiner Blasenkolik windet, sind es meine Gebete zum Himmel, die erhört wurden, sind es meine Schreie seinetwegen, der nach jedem zarten Keim von Liebe zu mir in Deinem Herzen lauert, um ihn sogleich, wenn er sich zeigte, als Unkraut auszureißen.
König Hm.
Königin Wenn er nicht da wäre, glaube ich, wäre das Glück für uns da. Was
würde es da für ein Glück für mich sein, Dir leise zuzuflüstern, was mir mir schon so lange auf meiner Zun ... das, was ich Dir jetzt sagen möchte: ich werde ein Kind haben.
König Ein Kind? Welches Kind?
Königin Deins selbstverständlich? Verstehst Du mich denn nicht?
König Meines? Ja aber ich habe doch nicht … ja aber, liebe ... ein Kind ... ... Du
meinst: ge-gebären? ... Anne, einen Thr-Thr-Thronfolger? Liebe, liebe Anne! Wo ist Mademoiselle de La Fayette? (Der König eilt hinaus, die Königin sinkt schluchzend zusammen.)
Mademoiselle de La Fayette (herein mit dem König) Aber meine gute Königin
Anne!
König Aber Anne, meine liebe Anne, vergib mir, sollte Dich das jetzt auch
betrüben? Ich bin ja so froh geworden, verstehst Du, und da wollte ich …
Königin Es ist schon gut, Ludwig. Ich gehe jetzt zur Ruhe.
König Darf ich Dir einen … ja, also … einen Kuss geben?
Königin Danke.
König Bist Du nicht froh darüber, dass ich so froh bin? Anne, kann ich Dir nicht
meinen … Nicht Dich mit etwas Anderem erfreuen?
Königin Doch!
König Sage es nur.
Königin Du kannst den Kardinal töten lassen. Gute Nacht. (hinaus)
König Das schreien sie alle, der Adel und die Bauern, Priester und Ketzer, wo ich
auch hinkomme. Und wenn er mich begleitet, so schreit es mir die
Todesstille um uns herum zu: Selbst Sie, kleines, frommes Mädchen, selbst in dem sanften Klostergarten Ihres Gemüts, sitzt eine kleine Natter, die im Grase zischt: Töte den Kardinal, töte den Kardinal.
Mademoiselle de La Fayette Nein, Sire, töten ist so fürchterlich. Aber
schicken Sie ihn fort, weit, weit fort. Er macht Sie so unglücklich und trennt Sie von Ihrer Mutter, Ihrer Gemahlin, Ihrem Volk und von Gott.
König Wenn man das nur könnte! Sich befreien von dem Blick in sein
hochmütiges Gesicht, von dem hässlichen, säuerlichen Geruch seines Körpers! Ein Wort nur von mir: Schafott, Bastille, Schweden … Ich könnte keinen Befehl erteilen, der williger ausgeführt würde. Aber heute Abend habe ich eine andere Stimme gehört, einen so feinen und zarten kleinen Ruf, dass nur ich ihn hören konnte. Die Stimme kam von dem werdenden winzigen Kind im Leib der Königin. Sie sagte, und ich hörte sie mit dem Ohr des Königs und dem Ohr des Vaters: "Halte an ihm fest!" Und diese Stimme wiegt die Schreie von ganz Frankreich auf.
Mademoiselle de La Fayette Haben Sie wirklich so etwas gehört, Sire? Das
ist am Ende eine Offenbarung Gottes.
König Wer kommt da unangemeldet herein?
Monsieur (herein mit dem jungen Herzog von Montmorency, dem Erzbischof, dem
General, dem Großsiegelbewahrer Chateauneuf, dem Bankier und dem Grafen d'Alemcourt) Wir grüßen Ihre Majestät, Im Namen der französischen Stände mit den Worten, die Odysseus …
König Sei still, Gaston. Ich habe noch nie ein ernsthaftes Wort aus Deinem
Mund gehört. Montmorency, was wollen alle diese bewaffneten Herren zur Nachtzeit bei mir?
Erzbischof Ich glaube, Monsenieur hat sich darauf vorbereitet, das Wort für uns
zu führen.
König Montmorency, reden Sie.
Der junge Herzog Wir kommen, um … um … Ehrlich und gerade heraus
gesagt, Herr Ludwig, wir alle, die wir hier stehen, haben uns verschworen.
Erzbischof Hm.
König Ja so!
Der junge Herzog Und wir kommen nun …
König Was hast Du da, Gaston?
Monsenieur Zunächst möchte ich sagen …
König Lass' mich sehen. Ja so. Verhaftung. Weswegen klagen Sie ihn an? Wegen
seines Regimes oder wegen seiner Person?
Monsenieur Wegen seines Regimes, Ludwig.
König Für sein Regime trage ich die Verantwortung. Wessen klagen Sie mich an?
Erzbischof Wissen Sie, wie Frankreich heutigen Tages aussieht?
König Zufälliger Weise ja: gesammelt, gehorsam und ruhig.
Erzbischof Das ist Ruhe einer Eisfläche über den Wellen. Doch der Sturm ist
nahe.
Der junge Herzog So viele Gifttropfen der Demütigung sind in unsern Becher
getropft, das er nun bis zum Rande gefüllt ist.
Bankier Und die Steuern, Majestät. Die vor allem sind es ja, unter denen wir uns
winden.
Erzbischof Als wir nun das letzte Unglaubliche hörten, dass er, ein Kardinal, sein
Volk im Bündnis mit den Ketzern zum Krieg gegen Gott selbst zwingen will – nur ein höllischer Geist kann ihm eine solche Wahnsinns-Lästerung ins Hirn geschossen haben – da sahen wir ein, das dieses Land zu Recht dem Untergang geweiht wäre, wenn es nicht Männer hätte, die, auch wenn sie ihr Leben auf's Spiel setzen, in einer solchen Stunde zum König gingen, um seine Augen zu öffnen für drohenden Aufruhr, Krieg und Bann.
König Den Aufruhr schlagen wir nieder. Den Krieg gewinnen wir. Denn Bann
kriegen wir wohl auch wieder aufgehoben.
Chateauneuf Majestät, das klingt gut - "niederschlagen und gewinnen". Aber
womit wollen wir niederschlaggen und gewinnen? Sie wissen selbst, das
Land ist durch die Steuern total ausgelaugt. Und …
Erzbischof Den Aufruhr schlagen Sie nieder. Ja, vielleicht. Wollen Sie das denn
wirklich?
König Ob ich Aufruhr niederschlagen will?
Erzbischof König Heinrich machte das nicht. Nein, denn unter König Heinrich
gab es keinen Aufruhr. Warum halten Sie an ihm fest, Sire? Weil er tüchtig ist? Ja gewiss, weil er tüchtig ist. Wohl niemals zuvor hat unser Land jemanden wie ihn besessen, noch wird es so jemanden in Zukunft haben. Aber was nützen alle Fähigkeiten, wenn das Ziel, das man anstrebt, falsch ist. Im Gegenteil: Je größer die Fähigkeiten, desto gefährlicher ist der Mann. … Sire, es gibt Frischlinge, die die Rute nicht entbehren können. Und da sind andere. Rührt man die an, so erstirbt entweder die Seele in ihnen, oder sie springen auf und schlagen den Idioten von Schulmeister tot. Das sind Jungens mit hochgemutem Sinn. Sire, was wollte König Heinrich? Ein freies und stolzes Volk, das in Freundschaft mit seinem König das Gesetz der Selbstachtung hochhält. Ich erinnere mich, dass er einmal Ihren kleinen bloßen Hintern auf die Fläche seiner rechten Hand setzte und Sie sodann vor uns allen mit einer Hand hochhob. "Franzosen der Zukunft" lachte er, "seht hier Euren König!" Sie lachten mit, und ich dachte: Sieh an, der Kleine hat das Lachen seines Vaters. Am wenigsten wäre mir da eingefallen, dass das Verhalten des Sohnes einstmals das des toten Königs schmähen würde.
König Hro! Hro! Ich fange an zu glauben, Herr Erzbischof, dass es diese Nacht
um das Leben geht. Zeigen Sie mir den Zettel noch einmal. … Hm. Fünf Buchstaben darunter … so … und so. Ja, und so! …Was sagen denn Sie dazu, mein lieber General?
General Sire, das wissen Sie doch: Für den König gegen des Königs Feinde!
König Und wenn ich mich nun nicht von ihm trennen will?
General Für den König gegen den König selbst!
König Hm. All dieses will ich sehr genau durchdenken. Vor Tagesanbruch
erhalten Sie meine Antwort.
Monsieur Ja, aber …
König Das wäre dann alles für heute Abend. (Die Herren fangen an, sich zu
verbeugen.) Und wenn wir ihn nun festnehmen, bevor der Hahn kräht, so schenken wir Ihnen ja gleichsam ein welthistorisches Schloss.
Graf d'Alemcourt (glücklich über den königlichen Schulterschlag und darüber, dass
es doch noch ganz gut gegangen ist) Deswegen waren wir ja auch so bange, dass Sie schon heute Mittag abreisen würden, Sire.
König So, waren Sie das? (lacht) Ach so, das waren Sie? (lacht nicht mehr weiter) Ja,
das verstehe ich. Jetzt fange ich an, das zu verstehen. ... Besonders begabt bin ich ja wohl nicht. Aber ich habe bisher nicht gedacht, dass man mich schlichtweg für dumm hält.
Erzbischof Ich kenne niemanden, der glaubt, König Ludwig sei dumm.
König Ich kenne doch einen. Das bin ich.Ich glaube, dass ich dumm bin.
Mindestens zehntausendmal habe ich ein Gewehr abgefeuert. Und doch kann ich am Knall noch immer nicht heraushören, wenn es mit Platzpatronen geladen ist. Jetzt verstehe ich erst besser, warum es am heutigen Tag dem Wild so gut ging.
Monsieur Das geschah ja doch nur ...
König Unerhört! Die lassen mich hier einen ganzen Tag herumrennen und
herumballern mit ... Ha, in diesem Land hält man den König für einen Hofnarren. Und Sie wagen danach dann auch noch, hier anzutanzen und ... Unerhört! Ich bin doch des Landes König, geboren und erkoren und gesalbt und Gott weiß, was ich noch alles bin, Sohn meines Va-Vaters, König Heinrich des Großen!
Monsieur Mündel eines gewissen Herrn Richelieu.
König Meine Herren, Sie ... Sie können gehen.
Monsieur Und wenn es jetzt so wäre, lieber Bruder, dass wir nicht ohne diese
Order gingen?
König Was soll das heißen. Droht Ihr mir?
Monsieur Sie können uns nicht von hier direkt auf's Schafott schicken.
Bankier So dumm sind wir nun auch nicht.
Monsieur Er hat finstere Schatten auf die Macht der Krone geworfen. Gib uns
das Leben des Verräters.
Der junge Herzog Er hat niemanden geschont. Nun schonen wir ihn auch
nicht.
Monsieur Nimm Dich in Acht, Ludwig, wenn Du Dich querstellst. Auch ich bin
ein Königssohn.
Mademoiselle de La Fayette Herr König, lassen Sie ihn fallen, retten Sie sich
selbst.
König Du! Ha, ab nach Brüssel mit Euch, zu Marie von Medici. Fangt doch
Flöhe im Schlüpfer der Königin. Dazu taugt Ihr gerade noch. Ich halte meine Hand über den Kardinal, bis Ihr mir den Arm abhackt.
Erzbischof Genau wie ich es vorhergesagt habe.
Bankier Los jetzt. Wir folgen unserem ersten Plan.
Monsieur Du hast uns nur aufgehalten. Aber das Spiel gewinnen wir. Kommt
jetzt, los! (alle hinaus)
König Ab mit Euch nach Brüssel. Gott gnade einem jeden von Euch, wenn er
sich hier noch mal sehen lässt.
Mademoiselle de La Fayette Sire, nein, das war aber gefährlich. Ich werde
ins Kloster gehen. Nicht mehr am Hof bleiben.
König Kleine verschreckte Taube, und was soll ich machen? Glauben Sie nicht,
dass ich mich auch am liebsten in der Stille und im Frieden eines Klosters verstecken möchte.
Mademoiselle de La Fayette Dann tun Sie es, Sire, tun Sie es.
König Und mein Volk draußen … soll ich es diesen Halunken ausliefern? Nein,
liebe Mademoiselle, zwei Lasten habe ich zu tragen auferlegt bekommen: Frankreich und Richelieu. Ich will darunter weder zusammenbrechen noch davon weglaufen, sondern sie tragen, bis ich umfalle, um meiner Ehre willen und wegen der Zukunft, die die Königin in ihrem Schoß trägt. ... Aber jetzt muss ich zum Kardinal und ihn warnen. (Öffnet die Tür, zwei Säbel senken sich vor ihm.) Was hat das zubedeuten? Tut das Spielzeug weg. Wo ist mein Degen?
Der Narr Marbout (kommt hervorgekrochen) Der ist zerbrochen, Bruder, der
Degen ist zerbrochen.
Mademoiselle de La Fayette Sie sind zu ihm gegangen. Sie bringen ihn um.
König Wollt Ihr wohl zurück? Wer wagt es, mich hier einzusperren?
Der Narr Marbout Sei doch froh, Väterchen, solange sie nicht Schlimmeres
mit uns vorhaben.
König Hol' den Kardinal, Marbout.
Der Narr Marbout Verwandle mich in eine Ratte, lieber Herr. Oder in einen
Wasserstrahl. Am liebsten in einen Wasserstrahl.
König Wozu kann ich jetzt noch greifen?
Mademoiselle de La Fayette Lassen Sie uns alle Heiligen bitten, heute Nacht
über Frankreich zu wachen.

VII
Der Billard-Saal im Schloss von d'Alemcourt. Anwesend sind Graf und Gräfin d'Alemcourt, der junge Herzog von Montmorency, der Erzbischof, der Großsiegelbewahrer Chateauneuf, der General und der Bankier.
Gräfin d'Alemcourt Ist alles bereit?
Erzbischof Wir sind alle bereit.
Gräfin d'Alemcourt In ein paar Minuten kommt er dort durch die Türe.
Christus hat einen Engel geschickt, um seine Schritte zu lenken. So nah, so nah ist mir mein Sohn heute, dass ich meine, auch Sie könnten ihn sehen: seine armen hohlen Wangen, die Wunde an den Armen, wo er zuletzt versuchte, etwas von seinem eigenen Fleisch zu essen.
Graf d'Alemcourt Die Uhr schlägt gleich vier, meine Liebe.
Gräfin d'Alemcourt Geh' nun nur hin zu seiner Tür, mein Sohn, und rufe leise
nach ihm, so dass er glaubt, es sei Marie de Chevreuse, die voller Sehnsucht seinen Namen flüstert. Führe ihn dann die Treppe hinunter, durch die Gänge, hier zur Tür herein … und komme dann zu mir und sprich: Endlich, Mutter, ist es geschehen.
Graf d'Alemcourt Nun solltest Du besser gehen, meine Liebe.
Gräfin d'Alemcourt Christus sei mit Euch, ER, den er verfolgt hat. (hinaus)
Chateauneuf Ist es sicher, dass der Kardinal noch immer nichts ahnt?
Graf d'Alemcourt Niemand ist nach dem General bei ihm gewesen.
General Und da wusste er von nichts. Dafür stehe ich gerade. …. Niemals habe
ich Furcht gekannt, außer …. hahaha … vor einem kleinen Hund mit kurzen Beinen bei meiner ersten Geliebten … sie wohnte bei einer Tante … und vor der Stimme des Kardinals.
Bankier Ich habe einmal einen kleinen Hund gekannt in der Rue Fouchaise.
Wenn man bei Nacht dorthin kam … es war ganz gewiss eine Hündin, aber was für eine laute Schnauze!
Erzbischof Na, General Birabeau, wer von uns beiden soll diese Nacht den
Leuchter bei der Chevreuse ausblasen.
General (und seine Hand zittert) Ich … ich pflege ihn immer brennen zu lassen.
Chateauneuf Wo ist Monsieur?
Der jungeHerzog Monsieur?
General Ja, und wo steckt sie? Wo stecken sie beide? Sitzen sie etwa dort oben
und verkaufen sowohl uns als auch den König an den Kardinal, damit er ihnen die Stufen zum Thron hinaufhilft?
Erzbischof Schenken Sie mir doch endlich reinen Wein ein und sagen Sie frei
heraus, was Sie meinen, General. (Wörtlich lautet die Replik: Reichen Sie mir doch den Pokal, den sie verbergen, General. PGSch)
General Kenne ich Madame etwa nicht? Sie hat immer nur Langeweile. Deshalb
tut sie auch stets, was ihr gerade einfällt; es ist immer lebensgefährlich. Sie läuft über von Gift und Galle. Sie kann nur leben im aufrührerischen, brodelnden Umfeld von Intrigen.
Monsieur (herein) Wir müssen uns bereit machen! Nehmen Sie jetzt Ihre Plätze
Ein! Und passen Sie auf das Zeichen auf: wenn ich die Hand hebe und sie zur Faust gegen ihn balle … dann … springen Sie vor … und tun Ihre Pflicht.
Graf d'Alemcourt Da! Die Uhr schlägt.
Der junge Herzog Es ist nur der Wind. Er frischt auf.
Bankier Auf den Magen zu zielen ist immer das Solideste.
Der junge Herzog Zum Teufel, in was haben Sie mich hineingezogen?
Erzbischof Ihr edler Oheim konnte es doch. Und vergessen Sie nicht, lieber
junger Herzog, mitten hier im Raum leuchtet ein Stern, der NOTWENDIGKEIT heisst. Um den drehen sich alle Sonnen. Werden Wölfe in einem armen, waffenlosen Dorf zu gefährlich, ist es notwendig, Köder mit Gift auszulegen.
Monsieur Ruhe!
Erzbischof Denken Sie daran: achten Sie nicht auf die Türe, nur auf das
Zeichen. Schauen Sie auf Monsieur.
Die Tür öffnet sich. Die Hände Monsieurs gehen halbwegs hoch. Alle stürzen voran.
Madame de Chevreuse Heilige Mutter Gottes. Soll das so vor sich gehen?
General Madame, was wollen Sie denn hier?
Madame de Chevreuse Sein Gesicht in den Sekunden sehen, bevor er umfällt.
Gönnen Sie mir das etwa nicht?
General Sie haben uns also verraten. Seine Leute stehen bereits hinter der Türe.
Sie sind vorher 'reingekommen, um zuzuschauen, wie wir gleich niedergemacht werden.
Madame de Chevreuse Glauben Sie im Ernst wirklich selbst, dass Sie so
viel wert sind?
General Nein, denn Sie haben mich, einen Soldaten, geschaffen für Dienst
und kecken Mut, zu einem Salonlöwen gemachr, zu einer wandelnden Verzweiflung, zu … zu …. Weshalb stehe ich hier mitten in einer Mörderbande, ich, der ich den Kardinal hoch achte, der das Heer wieder auf die Füße gebracht hat und …
Erzbischof …. Sie einmal in die Bastille.
General Eine zwanzig Jahre alte Geschichte. Glauben Sie, ich wäre eine so kranke
Seele, dass ich hinginge, um das zu verbergen.
Monsieur Sie sollten gehen, Madame, Sie verderben uns sonst alles.
Madame de Chevreuse Dann schonen Sie den Freund, den Sie hoch achten,
in dieser Nacht. Und ich schwöre Ihnen, auch ich bleibe seine Freundin … bis ich sterbe. (hinaus)
General (sieht seinen Säbel an) Unsere Waffen sind stumpf gegenüber ihren.
Graf d'Alemcourt Die Turmuhr schlägt. (Sie hören zu und warten.)
Erzbischof Ist, ehrlich gesagt, unter Ihnen noch einer, der glaubt, er käme her?
Monsieur Ruhe!
Erzbischof Dass er so einfach in eine Falle hineintappt, die unsere Fummelfinger
ihm gestellt haben?… Es würde mich, unter uns gesagt, regelrecht enttäuschen, wenn er käme.
Chateauneuf Und wenn er wirklich nicht kommt, was dann?
Monsieur Dann sind wir glücklich, dass wir noch den geheimen Gang hier
haben.
Bankier Wir wissen doch, dass alle Ausgänge bewacht sind, und dass der Heilige
Vater seine Kardinäle bis jetzt noch nicht mit Flügeln ausgerüstet hat. Und deshalb werden wir …
Chateauneuf Sie kennen den Kardinal nicht, Herr Poulard.
Monsieur Nein, er kommt nicht.
Bankier Zum Teufel, dann 'rauf zu ihm!
Monsieur Sie bleiben hier, zum Teufel,!
Graf d'Alemcourt Ruhe!
Erzbischof Bei Kain und Judas und allen Heiligen! Schritte! Schritte! Es sind
seine!
Richelieu (Bleibt vor der Tür stehen. Man hört von draußen seine zornige Stimme.)
Untersucht die Sache. Sollte der Marschall sich wieder duelliert haben, dann kein Pardon. Die Bastille! Später das Schafott!
(kommt herein) Aha, so spät noch beim Billard? Machen Sie nur weiter. Ich
möchte Sie nicht stören. (Geht quer durch den Saal und wieder hinaus.)
Erzbischof Ja und?
Bankier Wo blieb denn das Signal?
Chateauneuf Worauf haben Sie noch gewartet, Monsieur?
Monsieur Er hat mich doch angesehen. Er hat alles gewusst.
Bankier So, meinen Sie? Warum, glauben Sie, ist er gekommen, wenn er doch
alles wusste?
Monsieur Das war er nicht, das war er nicht, das war der Teufel, der an mir
vorbeiging.
Erzbischof Monsieur hat Recht. Es war leicht zu sehen: Er hat alles gewusst.
Chateauneuf Man hat uns verraten. Das Schloss ist umringt.
General Dann war sie das. Wieder sie.
Monsieur Er bringt uns um. Der Geheimgang ist unsere einzige Rettung.
Bankier Nein, hinter ihm her!
Chateauneuf Nichts wie weg!
Bankier Warten Sie!
Graf d'Alemcourt Da!
Richelieu (steht in der Tür) Meine Herren! Frankreich ist ein sehr schönes Land!
Es erstreckt sch von unwirtlichen Küsten, Dünen und Heide über Ebenen mit lieblichen Dörfern, breit sich dahinwälzenden Flüssen und lieblichen Seen hin zu zu Stränden, die wie junge Arme, und Berge, die wie schwangere Schöße wirken.
So wurde Frankreich Heimstatt für genügsames Ausharren und leichtsinnige Verschwendung, für Höflichkeit, die von Herzen kommt, und für einen Stolz, der seiner selbst gewiss ist, für Witz, dem nur die Wahrheit heilig ist, für Frömmigkeit, die aus Weichlingen Helden machte, für Tapferkeit, die bereit ist, selbst für eine bloße Geste das Leben auf's Spiel zu setzen. "Mit Frankreich gegen die ganze Welt" ist unser Wahlspruch. Wir haben keinen Papst in unserem Land, wir sind selbst der Papst. Denn würdevoll inmitten großer Ländern liegend, freundschaftlich auch inmitten kleiner, die Stirn in der Klarheit des Nordens und die Brust in der Sonne des Südens, wurde Frankreich dazu berufen, Hirn und Herz in diesem Teil der Welt zu sein, der die Welt in sich birgt.
Meine Herren, rufen Sie mit mir ein "Hurra", dass König Ludwig XIII mit
Glück und Stärke und ohne auf etwas Rücksicht zu nehmen, Frankreich zu dieser Berufungsgewissheit emporführen möge, dass es darin sein Leben führen kann.
Hoch lebe dieses Frankreich!
Monsieur Gnade! Ich bin unschuldig!
Chateauneuf Nichts wie weg!
Bankier Ja, in Dreiteufels Namen sofort weg!
Richelieu (klatscht in die Hände) Halt!
Auf dieses eine Wort stoppen die Herren und wälzen sich vor der Tapententür übereinander. Nur der alte Erzbischof verliert den Kopf und läuft weg. Der kleine Graf versucht mitzukommen, stürzt hin und dreht sich zweimal um sich selbst, erhebt sich dann und fängt an, sich den Staub abzuklopfen.
Der junge Herzog (ist unbeweglich stehen geblieben) Ich kann das
nicht … wir Montmorencys haben es niemals gekommt … hinterrücks zuzuschlagen … oder zu fliehen.
Richelieu Im Namen des Königs. Herr Herzog, Sie sind verhaftet. Bitte Ihren
Degen.
Madame de Chevreuse (ist eingetreten) Töten Sie ihn doch, Herzog, töten Sie
ihn. (läuft wieder hinaus)
Richelieu (wie ein Tier, das getroffen ist) Du! Du!
Der junge Herzog Hier ist mein Degen. Verteidigen Sie sich, Eminez! (hebt
einen Säbel vom Boden auf)
Richelieu richtet sich mit einem Ruck auf; sein eigener kleinen Säbel springt unter dem Mantel hervor; er schlägt auf den Herzog ein, sodass dessen Hand mit dem Säbel buchstäblich auf den Boden fliegt.
Der junge Herzog Meine Hand, meine rechte Hand!
Gräfin d'Alemcourt (kommt herein) Was ist passiert?
Graf d'Alemcourt Wir sind verloren, Virginie.
Richelieu Herr Graf, sorgen Sie dafür, dass der Kleine verbunden wird, ehe er
verblutet. Ich habe ihm einen anderen Tod zugedacht. Frau Gräfin, führen Sie mich zum König. (Der junge Herzog von Montmorency hinaus.)
Gräfin d'Alemcourt Ist Christus denn abgesetzt? Oder … Mein Sohn hat
verloren!
Graf d'Alemcourt Virginie!
Gräfin d'Alemcourt (beim Hinausgehen) Weh über den Lügner aus Wittenberg!
Richelieu Folgen Sie mir, Herr Graf.
Beide hinaus. Madame de Chevreuse kommt in Männerkleidung herein, ist noch nicht ganz fertig angezogen, späht umher, läuft zur Tapetentür, macht sich daran zu schaffen.
Pierre (steht in der Tapetentür.) Nein, nein, meine Hübsche. Hier ist jetzt gesperrt.
Was für ein nettes, kleines Schreiberkerlchen ist aus Ihrer Gnaden geworden.
Madame de Chevreuse Ja, aber das ist doch Jean. Der flotte Jean.
Pierre Nein, ich heiße Pierre, Frau Gräfin.
Madame de Chevreuse Ja sicher, Pierre, genau. Der flotte Pierre gestern von
der Jagd.. Ach nein, guck' nicht an mir herunter. Ich bin nicht ganz fertig geworden. … Pierre, ich bin in Schwulitäten.
Pierre Das sind Sie sicher. Sicher deswegen, weil ich gestern auf der Jagd so flott
war?
Madame de Chevreuse Ja gewiss bist Du flott, Pierre. Die Schultern, die
Waden … ein richtiger Mann. Pierre, man will Fesseln um meine schmalen
Handgelenke legen. Und stell Dir vor, eine Axt an einen so weißen Hals.
Pierre Ja, das ist ja eine Sünde und eine Schande für den Hals, aber …
Madame de Chevreuse Pierre, wir flüchten zusammen. Du findest eine
Scheune für uns und passt auf mich auf, während ich mich ausruhe … mich ein wenig ausstrecke. Nicht? Heilige Jungfrau, da kommt jemand. Lass uns schnell die Lichter auspusten. Beschütze mich, ah, lieber Pierre.
König (herein mit dem Kardinal) Wenn König Gustaf Adolf gekonnt hätte … Wer
ist da?
Richelieu Der mir treu ergebene Pierre. Und … Wen versteckst Du da?
Pierre Das ist nur ein … ein guter Kamerad, einer von den Schreibern auf dem
Schloss, Herr Kardinal.
Richelieu Gut. … Weißt Du, wo der Geheimgang ausmündet?
Pierre Ja.
König Dann trommele Leute zusammen! Berittene! Fangt von den Verrätern
ein, wen Ihr nur kriegen könnt. Leisten sie Widerstand, dann haut sie in Stücke.
Richelieu Mit Ausnahme von Monsieur. Den lasst Ihr laufen.
König Nehmt auch ihn gefangen. Macht ihn nieder.
Richelieu Mit Ausnahme von Monsieur, dem Bruder des Königs, Majestät. Den
lassen wir laufen
König Den … lasst Ihr laufen. Weggetreten!
Richelieu Der Schreiber bleibt hier. Wir können ihn jetzt gebrauchen. (Pierre
hinaus) Hier ist Tinte. Setze Dich dort hin. Kannst Du sehen?
Madame de Chevreuse (versucht ihre Stimme zu verstellen) Danke. Hier ist Licht
genug.
Richelieu Dann schreibe:
Im Namen des Königs:
Herzog von Montmorency – Bastille,
General Birabeau – wird vor versammelter Mannschaft erschossen,
Erzbischof von Tours – wird gebannt und des Landes verwiesen,
Bankier Poulard – wird ohne Verhör hingerichtet,
Pater Josef – wird in ein Irrenhaus verbracht,
Gräfin Marie de Chevreuse - ….
König Warum zögern Sie? Schafott.
Richelieu Ja, ja. Schafott. Schafott.
König Her mit derFeder. Ich kann vor Schmerzen kaum etwas sehen. Ach, was
für eine Nacht voller Pein. (hinaus)
Madame de Chevreuse Erlauben Sie, dass ich jetzt gehe?
Richelieu Nein, nicht jetzt … Marie, warum hast Du mich diese zwanzig Jahre
hindurch gehasst.
Madame de Chevreuse (schreit) Töte mich nicht! Töte mich nicht! (Sie läuft zur
Tapetentür. Der Kardinal bleibt unbeweglich sitzen. Plötzlich bleibt sie stehen, und läuft dann wieder zu ihm. ) Und danach fragst Du noch? Ich könnte Dir ins Gesicht schlagen. (tut es) Meine ganze junge Liebe habe ich Dir angeboten. Tag und Nacht kamst Du zu mir und hast mich geküsst und gedrückt, aber jedesmal, wenn der heilige Wille einer Frau in mir Dich zum Lager hinzog, hast Du innegehalten und bist ausgewichen. Wie, glaubst Du, war mir zumute, wenn Du gegangen warst, ich junge, heißblütige Frau, wenn mein Blut im Leib kochte und meine Glieder zitterten?
Richelieu Ich war ein Priester. Ich nehme keine Anklage entgegen, dass ich das
Brausen meines eigenen Blutes beherrschte und meinem Gelübde treu blieb.
Madame de Chevreuse Dann hast Du mich an den größten Narren verkauft,
der je mit Frankreichs Kronprinz gespielt hat. Glaubst Du, dass ich je in seinen Armen lag, ohne ihn mit meinen Nägeln blutig zu kratzen, weil er nicht Du war? … Warum hast Du Dich damals von mir fern gehalten? Beantworte mir das jetzt. Dein Gelübde. Ja gewiss. Und wo war Dein Gelübde heute Nacht?
Richelieu Marie! Marie! Heilige Mutter Gottes! Vergib mir meine Sünde!
Madame de Chevreuse Das tut sie reichlich. Wenn man nur wüsste, was man
davon hat.
Pierre (hinein) Die Leute sind jetzt bereit, Herr Kardinal.
Richelieu Hier ist die Vollmacht des Königs. Weggetreten!
(Pierre geht)
Madame de Chevreuse Auf Wiedersehen, Herr Richelieu. Heute nacht schlafe
ich mit dem Lakei der Gräfin. (hinaus)
Der Narr Marbout (herein mit dem König) Armer Junge! Konnte die ganze Nacht
nicht aus dem Bau heraus.
König Haben Sie auch Schmerzen, Herr Kardinal?
Richelieu Nicht mehr, als man aushalten kann.
König Es beginnt zu tagen. Und die Hähne krähen.
Richelieu Dann schicke ich jetzt eine Botschaft an den Adel heraus, wieviele
Männer jeder zu stellen hat.
König Tun Sie das noch heute.
Richelieu Und ich erkläre Spanien den Krieg.
König Und Sie senden Rom eine Erklärung. … Eine Freude hat mir diese Nacht
denn doch gebracht. (beugt sich vor) Die Königin war an dem allen nicht beteiligt.
Richelieu Nein, das war Ihre Gnade nicht.
König Dagegen … Ich könnte Ihnen erzählen … na ja, ein anderes Mal. Ich stehe
nun hier und sehe hinaus über dieses Land, das mir und meinem Geschlecht gehört. Die Hähne krähen immer lauter. Die Sonne steigt auf in den klaren Himmel. Ich will jetzt zur Königin hinüber gehen.
Richelieu Und ich an meine tägliche Arbeit – wie sonst auch.
Der Narr Marbout So schießt Frankreich drei Ellen in die Höhe, und ganz
Europa zittert …
König Noch einen guten Tag, Herr Minister.
Richelieu Einen guten Tag, Sire.
Der Narr Marbout … an dem der Kardinal warme Umschläge und der König
ein Pülverchen bekommt.

VIII
Der sterbende Minister liegt da, umringt von einer Schar der Herren des Reiches.

Richelieu Herr Marquis, haben Sie die Güte, noch heute dem Parlament meine
Entscheidung in der Angelegenheit mitzuteilen.
Marquis Es ist mir eine große Ehre.
Richelieu Sie, Herr Garf, tun Sie mir bitte den Gefallen und bringen dieses
Medaillon zu Madame de Chalne mit einem Dank für Ihre Verse und schönen Blumen.
Graf Es ist mir eine große Freude.
Richelieu Mazarin! Ist Mazarin nicht da? Ach ja, danke. Exzellenz, rufen Sie ihn
bitte.
Exzellenz Mit dem allergrößten Vergnügen. (hinaus)
Richelieu Und zu Ihnen, guter Beautemps, Ihr Antrag leuchtet mir sehr ein. Ich
werde Order erteilen, dass die Staatskasse Ihnen einen größeren Betrag zur Verfügung stellt zur Bekämpfung der Krankheiten der Maulbeerbäume.
Beautemps Ich danke Ihnen außerordentlich. Die Erzeugung von Seide kann …
Richelieu … eine schöne Einnahmequelle für das Land werden. Das glaube ich
auch. Gut! Meine Herren, ich danke Ihnen für Ihren liebenswürdigen Besuch heute. (Sie verbeugen sich und gehen)
Richelieu Ah, Mazarin, wo bleibt … der Nuntius?
Mazarin Der Nuntius wird in wenigen Minuten hier sein.
Richelieu Freut mich. Bin müde. … Sagen Sie mir, Mazarin, haben Sie das Letzte
von diesem Corneille gelesen?
Mazarin Gerade gestern Abend.
Richelieu Ihre Meinung darüber?
Mazarin Schön und groß.
Richelieu Er hat zum Schluß mit der Sprache herumgeschludert. Richten Sie der
Akademie einen Gruß von mir aus. Ich wünsche, dass er einen Tadel erhält. Wir müssen die Dichter dazu anhalten, dass sie sich der Sprache gegenüber demütig verhalten, statt damit nur herumzupfuschen. … Wird an unseren Schiffen gebaut?
Mazarin Mit vollem Einsatz. Im Laufe eines Monats …
Richelieu Es geht zu langsam. Teilen Sie ihnen von mir mit …
Mazarin Ja aber Sie wissen doch nicht …
Richelieu Es geht mir zu langsam, so schnell es auch gehen mag. Wir haben
Bedarf für viele Schiffe, jetzt, wo wir auch Kolonien auf den Inseln haben. … Mazarin, holen Sie mir die Papiere. (Mazarin hinaus)
Alphonse (herein) Ich bin Jesus Christus.
Richelieu Nein, das bist Du nicht, Alphonse, Du bist ein ganz gewöhnlicher
Karthäusermönch.
Alphonse Hör' mich an, hör' mich an, noch ist es Zeit dazu. Bekenne Deine
Sünden vor Gott, meinem Vater und Deinem Vater, dem Richter, dem Erlöser oder Zerstörer. Bekenne auf der Stelle in und vor Gott Deine Sünden, Dein verfehltes Leben in und vor der Welt. Bekenne deine blutigen Taten, Deine Lügen und Machtsprüche, den krankhaften Drang Deines Herzens nach Ehre und Macht. Bereue das alles und bitte um Gottes Gnade. Sorge für einen Beutel, der nicht alt und löcherig wird. Sorge für einen Schatz im Himmel, der sich nicht in Nichts auflöst, an den Diebe nicht herankommen, den Motten nicht auffressen. Denn dort, wo Dein Schatz ist, soll auch Dein Herz sein.
Kardinal Richelieu Reiß' Dich zusammen, Brüderchen, es ist ja noch
hellichter Tag ohne Mond. Du brauchst also das alles hier nicht zu
inszenieren.
Alphonse Dann will ich beten, beten. (hinaus)
Der Kardinal legt sich still hin und versucht, die rechte Hand zu heben, er schafft es aber nicht. Der ältere Herzog von Montmorency nähert sich dem Bett. Als Richelieu sich umdreht, nimmt er seinen Kopf ab und bleibt damit in den Händen stehen.
Richelieu Sie sind allzu höflich, Herr Herzog. Setzen Sie nur wieder Ihren Kopf
auf.
Der Herzog schüttelt seinen Kopf mit den Händen und tritt ein wenig zur Seite. Die Herzogin kommt, gekleidet wie eine Nonne, entstellt von Tränen und Entbehrungen vieler Jahre. Sie stellt sich an die Seite des Herzogs und blickt ohne jede Bewegung auf Richelieu.
Richelieu (nickt ihr freundlich zu) Liebe Frau Herzogin, liebe Schwester Jeanne, Du
warst gegenüber der Liebe Deines Herzens treu, so wie ich es gegenüber der zu meinem Land war. Das hat uns beide Opfer und Schmerz gekostet. Aber dafür wird uns Gott belohnen
Marschall d'Ancre stolziert heran, noch immer mit dem Blick auf die Pistolen in seinen Augen
Richelieu Ach, das sind Sie, Herr d'Ancre? Ich konnte Sie nicht mehr warnen, es
war zu spät. Und im Übrigen, Herr Marschall, Sie hatten auch keinen besseren Tod verdient. … Ist das der Nuntius?
König (mit Mazarin herein) Nein, ich bin es.
Richelieu Ich glaube, meine Augen fangen an, ein wenig schwächer zu werden.
König Wie geht es denn unserem lieben Minister?
Richelieu Ich liege hier mit vielen Andenken meines Lebens um mich herum.
Mazarin Spanien ist bereit zum Frieden, Herr Kardinal.
König Und wir brauchen ja auch selber dringend Frieden.
Richelieu Noch dringender brauchen wir den Sieg. Spanien kann mit uns
Frieden schließen, wenn es unseren Sieg anerkennt.
König Ich habe mit Mazarin gesprochen. Uns beiden scheint …
Richelieu Dann ersuche ich Sie um meinen Abschied.
König Ich verspreche Ihnen, ich werde aushalten, bis ich gesiegt habe.
Richelieu Danke, Herr König. Danke, dass Sie tun, was Sie tun müssen. Denn
wenn die Franzosen in den Kampf ziehen, haben sie … haben sie … die Pflicht, zu siegen.
Der Kardinal schließt die Augen. Der König und Mazarin gehen leise weg. Als er wieder aufsieht, sind die Gestalten, die verblasst waren, als die Lebenden eintraten, wieder deutlicher zu sehen. Er nickt ihnen freundlich zu. Da fällt sein Auge auf die Gräfin d'Alemcourt. Sie stützt ihren Sohn, der verhungert ist und in dessen Arm noch die Wunde blutet.
Richelieu Sie haben Unrecht, Frau Gräfin. Ich habe es getan um Frankreichs
willen. Man hat nicht das Recht, andere für sich selbst zu opfern. Aber man hat die Pflicht, alle und alles dem zu opfern, dem man dient. Und doch ist dieser Anblick scheußlich.
Er will sich davon abwenden. Da steht auf der anderen Seite Pater Josef mit Augen voller Verzweiflung und geisselt lautlos seinen Rücken.)
Richelieu Pater Josef, habe ich Dir Dein Leben im Kloster gestohlen? Aber Du
hattest ja Fähigkeiten, die ich für das Werk gebrauchen konnte, das getan werden musste. Nur war es mein großer Fehler, dass ich, als ich Dich wieder entbehren konnte, nicht sofort wieder ins Kloster einsperrte. Männer von Deinem Schlag sind für ein Reich die Allergefährlichsten. Ich hätte das wissen müssen, mein Freund. Deine Augen, sie tun mir so weh.
Auf seiner Stirn sammeln sich Schweißtropfen. Da kommt Marie de Rohan, fast so, als ob sie wirklich lebendig wäre, und setzt sich zu ihm.
Richelieu Wer bist Du?
Marie de Rohan (beugt sich über ihn und wischt den Schweiß zart von seiner Stirn)
Wer hier sein muss, hat hier seinen Platz, ganz nah bei Deinen Gedanken und Deinem Herzen.
Richelieu Ich weiß nicht, wer Du bist. Aber die Heilige Jungfrau Maria segne
Dich, dass Du da bist.
Er liegt ein wenig still, will eine Hand heben, um ihre Wange zu streicheln, da entschwindet sie, und die Gräfin de Chevreuse kommt tanzend herein. Der Kardinal streckt den Arm, den er jetzt heben kann, nach ihr aus.
Richelieu Marie, Marie, komm doch zu mir her!
Aber sie sieht ihn nicht, sondern tanzt nur hinaus und wieder herein, mitten zwischen die Gestalten, die immer mehr werden. Da ist General Birabeau, der erbebt, als er sie sieht, der Erzbischof von Tours, der lüstern hinter ihr herlacht, der Bankier mit gierigen Augen und Fingern, die sich zusammenkrümmen. Plötzlich ist es so, als ob sie den Kardinal entdeckt. Sie bricht ihren Tanz ab und zeigt auf ihn. Hass erfüllt aller Mienen.
Richelieu Räuberpack! Was wollt Ihr von mir? Verschwindet! Macht
das Ihr wegkommt! Ich befehle Euch das. Im Namen Frankreichs. (Sie scheinen zu weichen.)
Alphonse (herein. Sofort sammeln sich die Schatten wieder.) Ich bin Christus, der
Sohn des lebendigen Gottes. Und Du bist mein Bruder im Fleische. Ich sage Dir das Erbarmen meines Vaters zu, wenn Du jetzt in Deiner letzten Stunde in Dich gehst und um Vergebung für Dein Leben bittest, das Sünde, nichts als Sünde war.
Richelieu Ah, da ist der Numtius. Willkommen, Emmienz? Wie geht es in Rom?
Ist der Heilige Vater gesund?
Nuntius Alles in bester Ordnung. Und Sie, Herr Kardinal?
Richelieu Bin gesund wie immer. Also krank wie immer. Sagen Sie mir,
Emminenz – ich frage Sie dringend und äußerst vertraulich; gleich werden Sie auch erfahren, warum – sagen Sie mir, in welcher Weise meinen Sie, habe ich mein Leben geführt?
Nuntius Wie ein treuer Sohn Ihres Vaterlandes.
Richelieu Ja, und meiner Mutter Kirche gegenüber?
Nuntius Wie ein treuer Sohn Ihres Vaterlandes.
Richelieu Hm ja, ich verstehe, was Sie andeuten. Es wäre eine Art besseres
Leben als Christ, mitten in der Nacht Latein zu plappern und bei Tag Zwiebeln im Klostergarten zu stecken. …. Aber sehen Sie, Emminenz, auch ich bin Kardinal und kenne mich etwas aus. Sollen sie plappern und pflanzen, denen Gott dafür die Fähigkeiten gegeben hat. Wenn die etwas anderes wollen, so wäre es Sünde. Aber wem Gott Fähigkeiten gegeben hat, Pferde zu beschlagen und Schwerter und Pflugscharen zu schmieden – wenn der plappern und pflanzen will, so ist es Sünde.
Nuntius Emminenz haben einen der neueren Kirchenväter gelesen, höre ich da
heraus.
Richelieu Welchen denn?
Nuntius Martinus Lutherus.
Richelieu Ich habe eines der Bücher gelesen, die auch er gelesen hat.
Nuntius Welches?
Richelieu Eins, das Bibel genannt wird, Emminenz. Während ich darin las und
mich zugleich selbst erforschte, gewann ich Einsicht darin, welches Pferd zu beschlagen ich ausersehen war. Und das eine weiß ich: Ich habe alle Fähigkeiten, die ER mir gegeben hat, aufs Äußerste eingesetzt, um den Platz auszufüllen, den ER mir bot, dass ich ihn einnehmen sollte. Ich habe die Behinderungen um mich und in mir, die unüberwindlich schienen, überwunden. Ich bin stolz auf das, was ich geleistet habe, weil ich weiß, dass ich mich hätte verweigern, hätte versagen, hätte schludern und faulenzen und aufgeben können. … Ich weiß, dss es nicht hätte besser getan werden können, als es von mir getan wurde. Was wird ER nun zu mir sagen, wenn ich in Kürze vor seinen Richterstuhl treten werde?
Nuntius Ich sitze nicht darauf und kann nicht an seiner Stelle antworten.
Richelieu So wahr ER Gott, mein Gott ist, und sein Sohn nicht über ihn gelogen
hat, ER wird sagen, kann nur sagen: " Du frommer und getreuer Knecht, Du bist treu gewesen über viel, ich will Dich über mehr setzen. Geh ein zu Deines Herrn Freude." … Deswegen dachte ich mir … deswegen bat ich Sie zu kommen … deswegen wollte ich heute mit Ihnen zusammentreffen: könnten Sie nicht auf den Heiligen Vater einwirken lassen, dass ich sogleich heiliggesprochen werde, wenn ich tot bin?
Nuntius Mir ist kein Heiliggesprochener bekannt, der das selbst beantragt hat.
Richelieu Was Ihnen bekannt ist oder nicht, ist mir gleichgültig. Sie bringen
meinen Wunsch beim Heiligen Vater vor. Ich habe vielleicht nur noch ein Jahr zu leben. Deswegen bringen wir die Sache mit aller Dringlichkeit und Eile vor. Nicht wahr?
Nuntius Ganz wie Sie wünschen, Herr Minister.
Richelieu Ja, erinnern Sie bitte Seine Heiligkeit auf jeden Fall daran, dass ich
zukünftig der Gesandte der Erde im Himmel sein werde. Es läge in seinem eigenen Interesse, dass er sich gut mit mir gestanden hat, wenn ich vor den himmlischen König trete. (Der Nuntius verbeugt sich und geht.) Emminenz! Haben Sie mich verstanden?
Nuntius (ist stehen geblieben) Ich glaube schon.
Richelieu Ich will ein Heiliger werden. Ich, Richelieu, will es. Ich will der
Fürsprecher meines Frankreichs beim Allmächtigen sein, solange die Erde
steht.
Der Nuntius geht hinaus. Der Kardinal ist sehr erschöpft. Die Gestalten um ihn herum treten wieder deutlicher hervor. Mairie de Rohan steht wieder an seinem Kopfende, trocknet seine Stirnund haucht einen Kuss darauf. Madame de Chevreuse ist verschwunden.
Richelieu Wer bist Du, Du Feine, Du Liebe?
Marie Deine Liebe bin ich.
Richelieu Verstehe das nicht … verstehe kein Wort. Ach ja, Du bist
Frankreich selbst.
Marie Deine Liebe bin ich, Armand.
Richelieu Armand? Dann bist Du ja nicht Frankreich. Sag', wer bist Du denn
dann?
Er will zu ihr aufschauen. Da verschwindet sie wieder. An ihrer Stelle sitzt Madame de Chevreuse und sieht mit einem schadenfrohen Lächeln auf ihn nieder.
Richelieu Du verdammte Marie, kein Mensch hat mir so viel Böses angetan wie
Du. Ich weiß, dass Du selbst in diesem Augenblick in Spanien sitzt und es aufstachelst, den Krieg fortzusetzen, damit Frankreich am Ende doch noch verlieren soll. Du weißt, wie ich dadurch bis ins Mark getroffen bin, Du ziehlst klug und schnell. Nun gut, so gebe ich dieses Jahr meines Lebens dran, wenn ich dieses zerfallende Haus noch dazu zwingen kann, meinen Geist zu beherbergen, damit ich meine ganze Kraft explodieren lassen kann, Dich zu erwürgen, wenn Du mir zu nahe trittst.
Er richtet sich halb auf und greift nach ihr, aber Marie de Rohan wirft sich dazwischen, während Madame de Chevreuse ihren Tanz fortsetzt.
Marie Ach, töte sie nicht. Sie ist ja ich.
Richelieu Du? Sie ist Du? Weshalb ist sie dann so, wie sie ist?
Marie Du hast sie dazu gemacht.
Richelieu Ich? Da irrst Du Dich. Ich habe niemanden je geopfert, es sei denn,
wenn es für Frankreich war. Was hätte das Reich davon gehabt, dass sie so geworden ist? Nein, Du irrst Dich.
Marie Du hast uns geopfert … in Deinem Interesse.
Richelieu Warst Du es oder sie, die zu mir nach Luçon gekommen ist?
Marie Das war vor allem ich, aber auch schon sie. Aber die, die von Medicis
Minister geliebte Marie, das war ich, nur ich.
Richelieu Ich musste Dich damals loslassen. … Luynes verlangte das. … Ich
wäre niemals zu Richelieu geworden, wenn ich Dich damals festgehalten hätte. …. Ich ließ Dich los um Frankreichs willen. … Ich bin hierin ohne Schuld.
Marie Ja, damals. Aber davor? Warum schenktest Du mir Deine Umarmung nicht
viele hundert Mal ganz und gar, als Du sie mir anbotest und ich Dich so heiß, so flehendlich darum bat? Warum hast Du mich an Dich gedrückt, warum hast Du mich geküsst, wenn Du doch nicht wolltest? Warum wurde jede Umarmung von uns zu einer Geburtswehe, in der entstand, die dort tanzt?
Richelieu Mein Gelübde als Priester! Ich will keine Anschuldigungen hören, weil
ich mein Gelübde gehalten habe. Wer wagt es, einen Kardinal anzuklagen, weil er sich niemals eine Mitresse gehalten hat?
Marie Warum hast Du Dich dann nicht ganz von mir ferngehalten? Warum hast
Du mich in eine ekelhafte zweideutige Unentschiedenheit hineingezogen? Warum bekam ich einen zehnmal schlechteren Liebhaber, als es Birabeau gewesen wäre? Antworte mir, warum hast Du Dich nicht von mir ferngehalten? War das auch um Frankreichs willen?
Richelieu Ich bin ein Mensch, war doch auch nur ein Mensch, Marie, und Du
warst so jung und lliebreizend und voller Leben.
Marie Warum hast Du es dann nicht aufgenommen mit meiner reichen, starken,
stürmischen Liebe, Armand? Warum hast Du mir nicht gestattet, nichts als eine Frau und Dein zu sein? Warum machtest Du mich dadurch zu einer Dirne für jedermann?
Richelieu Marie, Marie, Du lebst aber doch, Du bist hier, Du existierst.
Marie Ja, als Erinnerung und Traum. Die, die lebt, ist sie dort.
Richelieu Was soll ich denn tun, sag mir, was ich tun soll, damit Du wieder leben
kannst, und sie sterben kann?
Marie Nichts mehr, es ist unmöglich. Das kannst Du nicht.
Richelieu Dann bin ich verloren. Es gibt keinen Himmel für mich, wenn sie
nicht leben soll, keinen Himmel außer, wenn Du auch darinnen bist. Marie, sag', kann das nicht wirklich werden?
Marie Es könnte vielleicht wirklich werden. Aber es ist unmöglich.
Richelieu Wesssen bedarf es denn?
Marie Wenn Du sie dazu bringen kannst, dass sie darüber weint, dass sie nicht
mehr ich bin, dann kann es wirklich werden. (löst sich auf)
Richelieu Alphonse, Alphonse, antworte mir, es geht um der Seelen Seligkeit.
Mazarin (herein mit dem Gesandten des Kaisers) Der Gesandte des Kaisers, Herr
Kardinal.
Gesandter Der Kaiser bietet Frankreich das halbe Elsass an, um auf dieser
Grundlage Frieden zu schließen.
Richelieu Gut, sehr gut. Grüßen Sie den Kaiser und richten Sie ihm aus, wenn er
das ganze Elsass bietet, kann er den Frieden haben.
Mazarin Ja aber …
Gesandter Seine Majestät hat selbst …
Richelieu Mazarin, finden Sie mir das Dokument. Nicht das da, auch das nicht.
… Ja, das da. Jede Provinz sendet nun zweitausend Mann zum Heer. Jede Grafschaft mindestens fünfzig Pferde. De la Porte wird Oberbefehlshaber und rückt zusammen mit den Schweden vor … und vor … und vor. … Nein, ich kann mit der linken Hand nicht schreiben. Helfen Sie mir, Mazarin, führen Sie meine rechte Hand … vorsichtig, vorsichtig … au, au: so jetzt Ric … Rich … Riche … lieu … Richelieu. … Das ganze Elsass, dann kann er seinen Frieden bekommen. (beide hinaus)
Richelieu Alphonse, Alsphonse, sage mir eins: sind für Gott alle Dinge möglich?
Alphonse (herein) Alle Dinge sind für Gott möglich.
Richelieu Ein Ast, der krumm gewachsen ist und dahinwelkt, kann ER den
wieder gerade und frisch machen?
Alphonse Leichter, als das Feuer, dass alles Krumme verzehrt, und als der
Frühling, der wieder frische Triebe hervorsprossen lässt.
Richelieu Einen Leib, der sich auflöst und in andere Verbindungen übergeht,
kann ER den wieder zusammenflicken?
Alphonse So leicht, wie die Zeit hinströmt zur Ewigkeit, während keiner die
einzelnen Bestandteile zählt.
Richelieu Aber eine Seele … eine Seele, die andere geknickt hat, die andere mit
ihrem Schmutz befleckt hat … kann ER die wieder hell und heil machen?
Alphonse (zögert)
Richelieu Antworte mir: Kann ER das? Kann ER das?
Alphonse Tränen der Reue waschen viel ab.
Richelieu Der eigenen Reue oder der Reue eines anderen?
Alphonse Der eigenen und der anderen zusammen, denke ich.
Richelieu Bete für mich, bete für mich zu der Heiligen Jungfrau, dass Gott, der
Allmächtige sich erbarme.
Alphonse Armand, mein Bruder! Du kommst voran.
Richelieu Bete, bete, bete, und wenn Du dabei alle Deine Rosenkränze
aufbrauchst. (Alphonse hinaus)
Richelieu Macht, dass Ihr fortkommt, Ihr anderen! Was habe ich mit Euch zu
schaffen? Ihr steht hier nur da wie Triumpf- Trophäen an meinem Weg. Aber Du, Marie, sprich Du zu mir! Ich gebe meinen letzten Tropfen Blut her, um ein Wort aus Deinem Mund zu hören
Madame de Chevreuse Warum nenen Sie mich Marie, Herr Kardinal? Ich
heiße Madame de Chevreuse, und davor hieß ich Madame de Luynes.
Richelieu Aber wiederum davor hießest Du Marie de Rohan.
Madame de Chevreuse Das ist so lange her, dass ich mich kaum daran
Erinnern kann. Damals war ich ein dummes, junges Ding, dem jeder nachrennen konnte, und das sich auf dieser Welt mit nichts von der Welt auskannte.
Richelieu Damals hast Du mich geliebt.
Madame de Chevreuse Habe ich das? Ich habe so viele Männer geliebt.
Richelieu Ich war Deine erste Liebe.
Madame de Chevreuse Nein, das stimmt nicht. Denn an den kann ich mich
erinnern, das war der da.
Richelieu Und ich habe Dich geliebt.
Madame de Chevreuse Haben Sie das? Ist das wirklich wahr? Einem
sterbenden Mann kann man wohl glauben. Sieh mal an, darauf bin ich aber stolz. Selbst der Kardinal hat mich geliebt.
Richelieu Sie glichen damals der Heiligen Jungfrau.
Madame de Chevreuse Die wusste ja auch von keinem Mann. Ich möchte
noch bemerken: das Heilige ist mir dann später abhanden gekommen.
Richelieu Hilf mir doch, Gott im Himmel, hilf mir doch. Dass eine Seele in einer
so peinvollen Not stecken kann! Ist das schon das Fegefeuer? Es reinigt ja nicht, es hilft ja nicht. Höre mich doch, Gott. Du antwortest mir nicht. … Dann höre Du mich: Satan, Satan, um des Blutes Christi willen, komme zu mir her.
Satan Was willst Du von mir?
Richelieu Dir eine Seele abkaufen, wenn es möglich ist.
Satan Was gibst Du mir dafür?
Richelieu Ich gebe Dir … was habe ich denn? Was willst Du haben? Meine
eigene … gebe ich Dir, … wenn Du willst.
Satan Nehmen wir mal an, dass ich die bereits habe. Das wäre also ein schlechtes
Geschäft für mich. Ich bin nicht ganz so dumm, wie Eure Schauspieldichter glauben. … Aber ich könnte ja etwas anderes verlangen.
Richelieu Dann sage es, sage es doch.
Satan Ich gebe Dir die Seele frei, an die Du denkst, und Deine eigene mit dazu,
wenn Du mir Macht über den König und den Dauphin gibst.
Richelieu Was willst Du denn mit ihnen machen?
Satan Sie nur anhauchen.
Richelieu Und dann?
Satan Welken sie dahin.
Richelieu Und Gaston?
Satan Wird König.
Richelieu Und dann blüht wieder Marie von Medicis Weizen in Frankreich.
Satan Gehst Du auf mein Angebot ein?
Richelieu Geliebte, vergib mir … ich weiß mir keinen Rat. … Ist es möglich,
dass einer den anderen in die Tiefe hinunter zieht, aus der einen keiner wieder herausführen kann?
Satan Du könntest das doch. Gehst Du auf mein Angebot ein?
Richelieu Ist es denn möglich? Gott im Himmel, antworte mir doch!
Satan Ich bin es jedoch gewesen, den Du herbeigerufen hast.
Richelieu Vergib mir, Marie. Weiche von mir, Satan, weiche von mir! …
Mazarin! Mazarin!
Mazarin (tritt hastig ein) Herr Kardinal?
Richelieu Ich wollte … (Der König ist gleichfalls eingetreten, gefolgt von Herren des
Adels und von geistlichen und bürgerlichen Hofbeamten.) Franzosen im Leben und Sterben, uns wurde ein so schönes land anvertraut. Es verdient, geliebt zu werden mit der Zärtlichkeit eines Sohnes und dem Stolz eines Liebhabers, mag es auch zu Armut, Verstümmelung und Tod führen, ihm bis zur Selbstaufgabe zu dienen
König Ludwig, ich gebiete Ihnen zu herrschen und zu siegen.
Franzosen, ich gebiete Euch zu gehorchen und zu siegen.
Zu siegen heisst herrschen. Zu gehorchen heisst herrschen.
Ich, der Kardinal sterbe nun.
Mit Gott, mit Marie von … der einen oder der anderen … wegen der Frau … im Herzen … der Verlust von Gottes Gnade … Aber Gottes Gnade vermag alles … vermag alles … vermag alles.
Mit dem König für Frankreich bis zum Tod und Frankreich auch über den Tod hinaus!

Stand: 21. März 2009